Der Tod von Milosevic - der Tod des Tribunals

Gerecht ist nur ein Gericht, das sein Urteil nicht im Voraus fällt. Sonst ist es nicht ein Gericht, sondern eine Gerichtsfarce.

Ich bin so frei zu behaupten, dass der Tod des ehemaligen Präsidenten von Jugoslawien, Slobodan Milosevic, zugleich auch den Untergang des Tribunals in Den Haag oder, genauer, des Internationalen Tribunals für das ehemalige Jugoslawien bedeutet.

Auf Milosevic als dem wichtigsten Angeklagten baute die Anklage mit Carla del Ponte an der Spitze ihre gesamte Strategie auf. Gerade die Anklage gegen Milosevic als Politiker machte den eigentlichen Sinn des Prozesses aus, denn ein überzeugender Schuldspruch hätte all die Zweifel, die mit den barbarischen Bombardements gegen Serbien verbunden waren, weggespült. Ohne einen solchen Spruch wären auch die Handlungen der westlichen "Friedensstifter" im Kosovo zweifelhaft geblieben. Denn sie setzten ja die Pole der Gewaltanwendung lediglich um: Vor der Ankunft der "Friedensstifter" sollen die Kosovaren von den Serben und nach ihrer Ankunft die Serben von den Kosovaren gemetzelt worden sein. Schließlich brauchte der Westen einen Schuldspruch auch dazu, die nicht gerade wenigen Serben, die in Milosevic nicht einen Diktator, sondern einen Nationalhelden sehen, zur Aufgabe ihrer Meinung zu bewegen.

Nichts davon ist gelungen. Wer verloren hat, ist Carla del Ponte, was übrigens nicht verwundern kann. An jedem Prozess, den sie führte, interessierte sie ihr eigenes Renommee und nicht die Sache selbst. Es hat die westliche Justiz verloren: die Justiz als Ganzes gegen einen einzigen Juristen. Wie man zur Figur Milosevics auch stehen mag, muss Offensichtliches zugegeben werden: Er verteidigte sich glänzend und hielt sich beim Prozess nicht als Angeklagter, sondern als Ankläger. Wobei seine Argumente sehr oft bei weitem gewichtiger waren als die von Carla del Ponte.

Es hat das Tribunal in Den Haag verloren, und das moralisch. Wenn sich hinter dem Tribunal eine Serie von mehreren verdächtigen Selbstmorden von Angeklagten und der Tod des Hauptangeklagten, der wiederholt um eine ärztliche Behandlung gebeten hatte (wobei alle Opfer Serben sind), hinzieht, ist das zumindest verdächtig. Die offizielle Todesursache von Milosevic ist noch nicht verkündet worden, aber zwei der veröffentlichten möglichen Varianten klingen wie ein Urteil über das Tribunal in Den Haag selbst.

Soll die Vergiftungsversion Bestätigung finden, ist das Anlass für eine überaus ernste Gerichtsuntersuchung, zumal auch ein Motiv vorlag. Der Prozess war in eine Sackgasse geraten, so dass es nicht an Kräften fehlte, die an Milosevics Tod interessiert waren. Übrigens hat sein Rechtsberater Journalisten einen Brief von Milosevic präsentiert. Er ist mit dem 10. März, das heißt dem Vortag des Tages, an dem er in seiner Zelle tot aufgefunden wurde, datiert. In diesem Brief behauptete der ehemalige serbische Top-Politiker, er sei vergiftet worden.

Wenn dagegen die Lesart "Herzinfarkt" stimmt, ist die Schuld des Tribunals um so offensichtlicher. Milosevic wies auf seine Erkrankungen hin und bat, ihn zur Behandlung nach Moskau gehen zu lassen. Wie der Chefkardiologe des Ministeriums für Gesundheitswesen der Russischen Föderation, Dr. med. sc. Professor Leo Bokerija, der die medizinischen Aufzeichnungen der Gerichtsärzte von Milosevic gesehen hat, bestätigt, waren diese verworren, und die Empfehlungen entsprachen nicht im geringsten dem Ernst der Erkrankung. Nach Ansicht des russischen Kardiologen benötigte Milosevic einen sofortigen chirurgischen Eingriff. Russland war bereit, ihm eine solche Hilfe zu leisten. Nicht etwa aus Liebe zu Milosevic: Russland ist inzwischen anders, sondern aus den einfachsten humanen Erwägungen heraus; übrigens gab es vorher dem Tribunal die entsprechenden Garantien, nach der Präzisierung des Gesundheitszustandes des Angeklagten werde er nach Den Haag zurückkehren.

Das Tribunal lehnte diese Vorschläge ab und brachte so sein Misstrauen zu den russischen Ärzten und der russischen Regierung zum Ausdruck, was einer offenen Beleidigung eines der Ständigen UNO-Mitglieder gleichkommt. Als Carla del Ponte gefragt wurde, ob sie nicht bereue, Milosevic nicht zur Behandlung nach Moskau reisen zu lassen, antwortete die Dame kaltblütig: "Warum muss ich das bereuen? Es bestand die Möglichkeit, dass er nach der Reise nach Russland zur weiteren Teilnahme am Gerichtsprozess in Den Haag nicht zurückkehren würde. Ich habe mir absolut nichts vorzuwerfen."

Nun, wenn mit dem Gewissen von Milosevic nicht alles stimmte, so steht es auch um das Gewissen der westlichen Politik nicht besser. Es handelt sich nicht darum, ob Slobodan Milosevic auf die Anklagebank gehörte. Das Unglück ist, dass zahlreiche westliche offizielle Personen, die zielbewusst auf die Zerstückelung Jugoslawiens, die Vernichtung und Erniedrigung des serbischen Volkes hingewirkt hatten, nicht auf die gleiche Bank kamen.

Genauso müssten neben Saddam Hussein auch jene sitzen, die den irakischen Krieg entfesselten. Die El Falludja unter Einsatz der verbotenen chemischen Waffen bombardierten. Die die geheimen Gefängnisse in Europa einrichteten. Die die Häftlinge auf Guantanamo unbefristet festhalten. Die das Gefängnis Abu Graib in eine genau die gleiche Inquisition verwandelt haben wie auch Saddam.

Gerecht ist nur ein Gericht, das sein Urteil nicht im Voraus fällt, über alle Umstände der Sache verhandelt und zu dem Prozess jeden als Angeklagten heranziehen kann. Ohne Rücksichtnahme auf Politik und Rang. Sonst ist es nicht ein Gericht, sondern eine Gerichtsfarce. Als vertrauenerweckendes Gericht ist das Tribunal in Den Haag tot.

Pjotr Romanow, RIA Novosti
Moskau, 13. März


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