»Freiheit hinter Gittern«

Internationale Solidaritätsaktion: Freilassung von Milosevic gefordert

Die gute Nachricht zuerst. Die internationale Solidarität, auch mit Serbien und Jugoslawien, lebt weiter, sie ist nicht nur eine papierene Parole aus der Mottenkiste linker Geschichte. Aus einem Dutzend Länder, darunter Deutschland, die USA, Kanada, Italien, Frankreich, Österreich, Griechenland, Belgien, Bulgarien und Serbien, kamen am Samstag Demonstranten in Den Haag zusammen, um die Freilassung Slobodan Milosevics zu fordern und an die Opfer des NATO-Bombenkrieges 1999 zu erinnern.

Im Auftrag der Aggressorstaaten wird dem früheren Präsident Jugoslawiens vor dem UN-Tribunal der Prozeß gemacht wegen angeblicher Kriegsverbrechen in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo. Seit zwei Jahren wehrt sich Milosevic erfolgreich und daher weitgehend unbeachtet gegen seine Ankläger. Mit jugoslawischen und serbischen Fahnen, »Slobo, Slobo«-Rufen und Partisanenliedern marschierten die Demonstranten ins benachbarte Scheweningen, wo er seit dem 28. Juni 2001 in Haft sitzt.

Die weniger gute Nachricht dieses Tages: Es waren nicht eine Million Serben, die Milosevic ihre Unterstützung und Solidarität versicherten, wie noch 1989, als sie im Kosovo zum 600. Mal an die Schlacht auf dem Amselfeld erinnerten. An den Churchill Pein 1, den Sitz des UN-Tribunals in Den Haag, kamen am diesjährigen serbischen Feiertag Vidovdan nur knapp 300 Demonstranten. Aufgerufen zum Protest hatte das »Internationale Komitee zur Verteidigung Slobodan Milosevics« (ICDSM).

Die kleine Schar der Demonstranten reichte aus, die Sicherheitsbehörden rotieren zu lassen. Im Scheweningen-Gefängnis wurde am Samstag der Hofgang gestrichen, Milosevic Telefongespräche untersagt, um Live-Grußadressen zu verhindern. Klaus Hartmann, Bundesvorsitzender des Freidenker-Verbandes und IDCSM-Vizepräsident, zeigte sich denn auch zufrieden. »Es ist wichtig, ein Zeichen zu setzen«, sagte er gegenüber jW. Sicher sei die erste Solidaritätsdemonstration in Den Haag mit mehreren hundert Demonstranten eher klein gewesen. »Aber wir werden wiederkommen, und wir werden stärker werden.« Mit Verweis auf den alten Griechen Aristoteles sagte Hartmann zuversichtlich, »der Anfang ist mehr als die Hälfte des Weges«.

Tags zuvor hatte Hartmann zwei Stunden lang mit Milosevic gesprochen. »Er ist kämpferisch, läßt sich nicht unterkriegen«, berichtete er unter Applaus der Anwesenden von seiner Unterredung. Und er machte Mut für den Fortgang des Milosevic-Prozesses: »Nach der ersten Halbzeit steht die Anklage, allen voran Carla del Ponte, völlig nackt da,« erklärte der Freidenker-Chef. Bisher habe Milosevic jeden Zeugen der Anklage demontiert. Das »Kriegsgericht« fürchte die »zweite Halbzeit«, wenn der Angeklagte Zeugen berufen könne. Doch das Tribunal zehre an den Kräften Milosevics. Mittlerweile gebe es über eine halbe Million Seiten Prozeßakten. Hartmann forderte daher, das Verfahren ein Jahr zu unterbrechen und den Angeklagten auf freien Fuß zu setzen, damit er sich adäquat vorbereiten könne.

Vor den Knast-Toren verwies Hartmann auf die historische Dimension des »Falls Milosevic«: Das Gefängnis am Pompstationsweg 46 A im Seebad Scheweningen diente den deutschen Faschisten zur Inhaftierung niederländischer Widerstandskämpfer. »Heute sperren die Täter dort wieder ihre Gegner ein«, so Hartmann. Und weiter: »Den Kämpfern gegen die neue Weltkriegsordnung gehört unsere Solidarität.«

»Slobodan Milosevic sitzt nicht im Gefängnis, weil er Verbrechen begangen hat, sondern weil er gegen die Verbrecher gekämpft hat«, sagte Velko Valkanov, ICDSM-Kopräsident und Vorsitzender des Bulgarischen antifaschistischen Verbandes und des bulgarischen Komitees für Menschenrechte. Unter Führung von Milosevic hätten die Serben 1999 ihre Freiheit und Würde gegen die imperialistische Globalisierung verteidigt – und damit die Unabhängigkeit aller Völker. »Im Gefängnis befindet sich nicht nur Slobodan Milosevic, sondern die Freiheit selbst«, so Valkanov. »In Scheweningen sitzt die Freiheit hinter Gittern.«

Von Beginn an international verleumdet, hätten Milosevic, die Sozialistische Partei Serbiens und alle patriotischen Kräfte Widerstand geleistet gegen die Zerschlagung Jugoslawiens in schwache, ethnisch separierte Territorien, gegen die Beherrschung durch IWF und Weltbank, gegen das Eindringen der McDonald-Kultur und gegen die NATO-gesteuerten rassistischen Terrortruppen.

Zustimmung bei den Anwesenden fand auch der belgische Publizist Michel Collon. »Nach den militärischen Invasionen in Afghanistan und Irak fahren die USA und ihre Verbündeten fort, andere souveräne Nationen durch wirtschaftliche Sanktionen, Drohungen mit Massenvernichtungswaffen und Destabilisierungsversuche erpresserisch und gewaltsam zu unterwerfen«, so Collon. Für künftige Kämpfe der Friedens- und sozialen Bewegungen sei es unerläßlich, den Widerstand gegen diese kolonialistischen Kräfte beharrlich und konsequent fortzusetzen. Daß dies möglich ist, demonstrierte seine Linkspartei in den vergangenen Wochen eindrücklich. Mit einer von der PTB initiierten Anzeige gegen US-General Tommy Franks wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im jüngsten Irak-Krieg spielte sie mit einem Mal in der oberen Liga der Weltpolitik: Die belgische Regierung zog den gesammelten Unmut des Weißen Hauses auf sich. Unter Druck der US-Führung änderte sie inzwischen entsprechende Gesetzesregelungen. Nicht zufrieden damit erwägen die USA, Brüssel als Standort des NATO-Hauptquartiers aufzugeben.

Und so überwog am Samstag die Zuversicht. Mögen auch nur ein paar Hundert Demonstranten nach Den Haag gekommen sein. Sie zeigten eindrücklich und selbstbewußt: Widerstand ist möglich, die internationale Solidarität wächst. Ausgerechnet am Churchill Plein 1 und vor dem Gefängnistor in Scheweningen blühte am Vidovdan, dem Tag der Niederlage Serbiens, ein Stück Jugoslawien wieder auf.

Rüdiger Göbel, Den Haag

junge Welt vom 30. Juni 2003


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