»Niederlage für das Gericht«

Slobodan Milosevic darf sich vor UN-Tribunal in Den Haag wieder selbst verteidigen. Auch Berufungsinstanz war Marke Eigenbau des Gerichts. Ein Gespräch mit Klaus Hartmann

Klaus Hartmann ist Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes und Vizepräsident des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic.

F: Aus Den Haag kommt die Nachricht, daß der vor dem »Kriegsverbrechertribunal« angeklagte ehemalige Staatspräsident Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, sich jetzt doch selbst verteidigen kann. Ein Etappensieg?

Zunächst einmal ist diese Nachricht eine gute Nachricht. Sie markiert eine Niederlage der allzu brutalen Strategie des »Tribunals«, das entgegen allen internationalen Normen und entgegen der eigenen Prozeßordnung dem Angeklagten das Recht auf Selbstverteidigung nehmen wollte. Aber es ist schon deshalb kein Sieg für Milosevic, da es nun die Tribunalärzte in der Hand haben, ihn krank zu schreiben und von der Verhandlung auszuschließen, wann immer die Tribunalsregie das verlangt.

In dem Fall würde wieder ein Pflichtverteidiger eingesetzt. Es handelt sich dabei um die Bestellung eines Zwangsverteidigers durch die Hintertür, wenn auch nicht auf die direkte brutale Tour, mit der man gerade gescheitert ist. Damit wollte man angeblich versuchen, den Prozeß abzukürzen.

F: Wer ist die »Berufungsinstanz«, die diese Entscheidung getroffen hat?

Marke Eigenbau – wie alle Entscheidungen des »Tribunals«. Es schafft seine Regeln selbst und sitzt auch in eigener Sache zu Gericht. Das heißt, der Chef der Berufungskammer ist auch der Präsident dieses Jugoslawien-Tribunals, Theodore Meron aus den USA.

F: Wie kam es überhaupt zu dieser Entscheidung?

Das »Tribunal« hat Milosevic just in dem Moment das Recht auf eigene Verteidigung entzogen, als er mit dem Aufruf eigener Zeugen beginnen wollte. Dieser Beschluß resultiert aus dem Besuch der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright bei dem Tribunalsverantwortlichen. Die internationale Presse hat darüber kaum berichtet.

Die jetzige Entscheidung überrascht nicht, da ja die Pflichtverteidiger vor wenigen Tagen ihren Rücktritt erklärt hatten. Sie waren gescheitert, weil binnen zwei Monaten von über 200 Entlastungszeugen nur fünf bereit waren auszusagen. Darüber hinaus mußten sie von verschiedenen Anwaltskammern standesrechtliche Restriktionen befürchten, weil sie entgegen der internationalen Rechtsstandards überhaupt bereit waren, diesen Auftrag zu übernehmen.

F: Es wird gesagt, die Konstruktion dieses Gericht stamme von der US-Regierung.

Die frühere Gerichtspräsidentin hat Frau Albright die »Mutter des Tribunals« genannt. Und der frühere NATO-Sprecher Jamie Shea, der Erfinder der »Kollateralschäden«, hat die NATO als die »Freundin des Tribunals« bezeichnet. Das macht natürlich den politischen Charakter dieser Veranstaltung deutlich.

F: Es war unübersehbar, daß das Gericht durch diese Weigerung der Zeugen in eine sehr schlechte Lage manövriert worden war. Es gab kürzlich Gerüchte, die US-Regierung erwäge einen Strategiewechsel im Umgang mit dem Gericht. Ist das schon dieser Strategiewechsel?

Völkerrechtler aus aller Welt, auch solche, die Milosevic nicht freundlich gesonnen sind, haben kritisiert, durch die Verweigerung der Selbstverteidigung würden internationale Rechtsstandards in gravierendem Maße verletzt. Damit drohte auch in der öffentlichen Wahrnehmung eine Justizfarce. Das hat außerdem in Regierungskreisen der USA in letzter Zeit zu Äußerungen geführt, die deutlich die Uneffektivität dieses Tribunals beanstandeten. Es wurde laut darüber nachgedacht, das Mandat des Tribunals zu beenden und die Fälle an die jeweiligen Heimatländer zurückzugeben.

F: Wie finanziert sich das Gericht eigentlich?

Für das letzte Jahr liegen mir über die Zahlungsweisen für dieses Tribunal keine Erkenntnisse vor. Wenn das Tribunal eine Körperschaft der Vereinten Nationen wäre, dürfte es nur aus deren ordentlichem Haushalt bezahlt werden. Daraus kamen jedoch nur geringe Summen – den Löwenanteil bestritten die Regierungen der USA und Saudi-Arabiens sowie private Stiftungen wie Rockefeller, Time-Warner und die des internationalen Börsenspekulanten George Soros.

Interview: Peter Wolter

junge Welt vom 2. November 2004


zurück