Milosevic-Zeuge abgeurteilt

Serbe wurde bestraft, weil er in Abwesenheit des Angeklagten nicht aussagen wollte

Erstmals wurde am Freitag vor dem Haager Jugoslawien-Tribunal ein Zeuge wegen Mißachtung des Gerichts verurteilt. Der 68jährige Kosovo-Serbe Kosta Bulatovic erhielt vier Monate Haft, die wegen seines sichtlich schlechten Gesundheitszustandes in eine zweijährige Bewährungsstrafe umgewandelt wurden. Bulatovic hatte sich Ende April geweigert, seine Aussage als Zeuge der Verteidigung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic fortzusetzen, nachdem dieser aus gesundheitlichen Gründen von der Verhandlung ausgeschlossen worden war.

In der Befragung durch Milosevic berichtete der Zeuge vom Schicksal der unterdrückten Serben im Kosovo in den 1980er Jahren. Da das Kreuzverhör in der Sitzung nicht beendet werden konnte, erschien der Zeuge am nächsten Verhandlungstag und stellte überrascht fest, daß das Gericht erstmals den Prozeß ohne Milosevic fortsetzen wollte. Bis dato wurde die Verhandlung bei krankheitsbedingten Ausfällen Milosevics vertagt. Bulatovic verweigerte die Aussage und wurde wegen Mißachtung des Gerichts angeklagt. In der Verhandlung gegen den angeklagten Zeugen gab Dragutin Milovanovic, ein Freund Bulatovics, der als sein Begleiter mit nach Den Haag reiste, an, Bulatovic wollte sich nie gegen das Recht stellen. Im Gegenteil habe er das Recht des Angeklagten auf einen Prozeß in Anwesenheit schützen wollen. Auch das Statut des Tribunals garantiert das Recht auf Selbstverteidigung und einen Prozeß in Anwesenheit des Angeklagten, doch die Richter konnten sich auf ein Urteil der Berufungskammer berufen. Diese hatte vor wenigen Monaten entschieden, daß die Einsetzung der Pflichtverteidiger gegen den Willen Milosevics rechtmäßig sei. Milosevic dürfe sich zwar verteidigen, jedoch könnten die Pflichtverteidiger einspringen, sollte Milosevic selbst verhindert sein. Wie kritische Beobachter schon damals befürchteten, ebnete das Gericht damit den Weg für die Fortsetzung des Prozesses in Abwesenheit Milosevics, dessen Verteidigung in den Augen der westlichen Regierungen zu viele unliebsame Fakten auf den Tisch legt. Das Urteil gegen Bulatovic ist daher als Warnung an alle Zeugen zu verstehen, die sich diesem Plan in den Weg stellen wollen.

Anna Gutenberg, Den Haag

junge Welt vom 17.05.2005


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