Solidarität mit Milosevic als Ankläger der NATO:

Ein nicht zu unterschätzender Faktor im Kampf der politischen Bewegungen für eine andere Weltordnung

Eine Gruppe von AktivistInnen der Friedensbewegung kam auf Einladung der Deutschen Sektion des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic (ICDSM) am 27. April 2003 in Hannover zu einem vierten Treffen der Internationalen Jugoslawien-Solidarität zusammen. Der Hannoveraner Kreisvorsitzende der DKP, Johannes Magel, und ein deutsch-serbischer Arbeitskreis zur Förderung unabhängiger jugoslawischer JournalistInnen hatte dazu angeregt und sorgte für die Tagungsorganisation.

Eine besondere Note erhielt das Treffen durch die Anwesenheit von Vladimir Krsljanin, einem führenden Mitglied der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) und engen Mitarbeiter von Slobodan Milosevic, des Präsidenten der SPS. Vor allem spielt Krsljanin als Sekretär des ICDSM sowie dessen Serbischer Sektion, die als "Sloboda/Freedom Association" firmiert, eine besonders verantwortungsvolle Rolle bei der Unterstützung von Slobodan Milosevic vor dem Haager "Tribunal". Krsljanin überbrachte die Grüße von Slobodan Milosevic, den er drei Tage zuvor in Den Haag hatte sprechen können.

Beim NATO-Angriff auf Jugoslawien 1999 hatten die meisten in der Friedensbewegung überhaupt nicht begriffen, dass damit der Weg in eine neue Phase von Angriffskriegen beschritten wurde. Diese Einschätzung war Ausgangspunkt des Referats, mit dem Klaus Hartmann, der Sprecher der Deutschen Sektion des ICDSM, die Diskussion der Tagung einleitete. Er betonte, dass mit dem Angriff gegen Jugoslawien der entscheidende Präzedenzfall für die Missachtung des absoluten Gewaltverbots des Völkerrechts geschaffen wurde. Auf dem Balkan wurde die neue Strategie der selektiven Aufhebung der Staatensouveränität und des Selbstbestimmungsrechts der Völker durchexerziert. Diese Strategie wurde von Paul Wolfowitz, dem Stellvertretenden Verteidigungsminister der USA, wenige Tage nach dem 11. September 2001 in brutaler Offenheit artikuliert, als er mit Blick auf Afghanistan und Irak drohte, die USA würden "Nationen beenden". Bereits 1998 unter Präsident Clinton war vom Kongress der USA im so genannten "Iraq Liberation Act" der Regimewechsel in Bagdad als außenpolitisches Ziel "beschlossen" worden. Das Grundmuster der Aggression gegen Jugoslawien hat sich mit den Invasionen in Afghanistan und Irak wiederholt. Diese "Türöffnerfunktion" der imperialistischen Balkanpolitik ist nicht länger zu übersehen. Und dennoch, so kritisierte Klaus Hartmann, möchten manche in der Friedensbewegung ihre Augen am liebsten davor verschließen. Wegen der nur indirekten Beteiligung der Schröder-Fischer-Regierung am Irak-Krieg möchten einige die direkte Beteiligung derselben Regierung an den Verbrechen gegen Jugoslawien am liebsten vergessen. Clinton erscheine, verglichen mit Bush, manchen Friedensbewegten im Dunst einer Esoterik, in der die Bombardierungen des Irak und die völkermörderischen Sanktionen während seiner Amtszeit nicht mehr wahrgenommen werden.

Die Voraussetzung für den Kampf gegen Krieg und Militarismus sind inzwischen, wie in der Diskussion hervorgehoben wurde, durch die weltweite Mobilisierung gegen den Irak-Krieg und die größere Bereitschaft zu weiterem organisierten Antikriegsprotest günstiger geworden wind. Auch werde die Verteidigung des Völkerrechts inzwischen als eine zentrale Aufgabe der Antikriegsbewegung begriffen. Doch die jahrelange antiserbische Hetze und die Kriminalisierung von Milosevic würden immer noch nicht als Ausdruck des Interventionismus begriffen, der, rassistisch motiviert und "wertethisch" verbrämt, die sozialpsychologische Grundlage der Kriegspropaganda bildet. Ähnliches wie im Falle Jugoslawien habe sich nun mit der Hetze gegen die irakische Regierung wiederholt. Wie stark dieser "ethische" Interventionismus auch in die Friedensbewegung hineinwirkt, zeige sich daran, dass manche immer noch nicht begriffen hätten oder nicht wahrhaben wollten, dass die Forderungen des ICDSM nach Freiheit für Milosevic, nach strafrechtlicher Verantwortung der NATO-Führer für die Aggression gegen Jugoslawien, Leistung von Reparationszahlungen sowie nach Abschaffung des Haager "Tribunals" ein unverzichtbares Element des Kampfes für eine andere Weltordnung sind. In Hannover wurde intensiv über die Frage diskutiert, wie diese Forderungen in die Friedensbewegung und in die neue Bewegung gegen den antisozialen Generalangriff der Mächtigen hineingetragen werden könnten, z.B. bei Veranstaltungen wie dem nächsten Europäischen Sozialforum in Saint Denis bei Paris im November d.J. Klaus Hartmann wies darauf hin, dass der Vorsitzende von ver.di Bsirske in seiner Ansprache bei der Berliner Großdemonstration gegen den Irak-Krieg am 15. Februar d.J. das Haager Tribunal als völkerrechtswidrig bezeichnet hat. Bemerkenswert sei diese Feststellung nicht wegen ihres Inhalts sondern, weil sie von dem Vorsitzenden einer der größten Gewerkschaft der Welt getroffen werde. Hieran gelte es anzukünpfen.

Krsljanin berichtete über die Proteste von "Sloboda" gegen den Ausnahmezustand, der nach der Ermordung von Djindjic verhängt wurde. Bei einer Pressekonferenz verwies ein Vertreter der mit "Sloboda" zusammenarbeitenden British Helsinki Watch auf eine enthüllende Aussage des serbischen Innenministers. Dieser hatte davon gesprochen, durch den Ausnahmezustand "mit den Überresten des Milosevic-Regimes fertig zu werden." Unter den über 7000 Verhafteten waren auch drei Vertreter von "Sloboda" sowie viele, die vor dem Haager "Tribunal" als Zeugen ausgesagt hatten. Neue serbische Gesetzesänderungen erlauben es, weitere "Angeklagte" an das "Tribunal" auszuliefern, Personen ohne Möglichkeit eines Kontaktes zu Anwalt oder Angehörigen 30 Tage und länger zu verhaften und selbst Zeugen ohne persönliche Beschuldigung in Haft zu nehmen. Offenbar qualifizierte all dies das Land just in diesem Augenblick für die Aufnahme in den Europarat, die Jugoslawien früher beharrlich verweigert wurde. Das Belgrader Regime agiert nach den Direktiven des US-Botschafters Montgommery und in Komplizenschaft mit dem "Tribunal". Die neue Regierung schaffte eine Einrichtung der Armee ab, die bisher "Angeklagten" entlastende Dokumente zur Verfügung stellte. Es inszenierte eine Verleumdungskampagne gegen die Frau und den Sohn von Slobodan Milosevic. Die Absicht ist offenkundig: Der bisherige Verlauf des "Prozesses" war ein einziges Fiasko der Anklage. Milosevic äußerte bereits die Vermutung, dass dem "Tribunal" die Aussicht auf die zweite "Halbzeit", in der Milosevics Zeugen auftreten, schon jetzt Kopfschmerzen bereiten. Daher das Bestreben des Tribunals, die Beweisaufnahme der Anklagevertretung weiter zu verlängern. Allein der gewaltige Aktenumfang und der strapaziöse Verhandlungsrhytmus stellen eine unglaubliche körperliche und psychische Belastung des sich allein verteidigenden "Angeklagten" dar. Und Milosevic leidet unter lebensbedrohlichem Bluthochdruck. Eine angemessene Behandlung und Erholung wird vom "Tribunal" verweigert. Und nun ergeht ein serbischer Haftbefehl gegen seine Ehefrau unter Vorwänden, die zu lächerlich sind, erwähnt zu werden. Doch die Absicht ist eindeutig: Slobodan Milosevic, der keiner Schuld zu überführen ist und als Ankläger der NATO auftritt, soll psychisch gebrochen werden. In der Tat wäre ein "natürliches Ende" der rettende Ausweg für die Veranstalter dieses Justizverbrechens.

Der 28. Juni ist der höchste serbische Nationalfeiertag. Just an diesem Tag wurde Milosevic vor zwei Jahren nach Den Haag entführt, als ob seine Kidnapper unmissverständlich klar machen wollten, dass sich ihr Anschlag gegen die ganze serbische Nation richtet. Daher plant das ICDSM für den 28. Juni 2003 eine internationale Protestdemonstration vor dem "Tribunal" in Den Haag.

Bonn, den 1. Mai 2003
Klaus von Raussendorff


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