Interview

Prinzipielle Weichenstellung

Warum die Linke Milosevic verteidigen sollte. Ein Gespräch mit Klaus Hartmann

F: Für Friedensaktivisten in Deutschland war es vor zwei Jahren eine klare Sache, den NATO-Krieg gegen Jugoslawien abzulehnen. »Solidarität mit Slobodan Milosevic«, wie Sie sie nun fordern, steht für viele auf einem anderen Blatt. Warum ist die Unterstützung des früheren jugoslawischen Präsidenten ein Muß?

Zunächst müssen wir feststellen, daß die Solidarität mit Jugoslawien vor zwei Jahren in Deutschland schwach entwickelt war. Einerseits ist an etlichen aus der Friedensbewegung die fast ein Jahrzehnt dauernde Propaganda der hiesigen Medien nicht spurlos vorübergegangen. Sie haben das aufgebaute Feindbild wie so viele andere für bare Münze genommen: Die Serben haben vor zehn Jahren, im Fall von Kroatien und Slowenien, später dann in Bosnien-Herzegowina, ihre Aggressionskriege begonnen. Weniger hart: Die Serben sind zumindest insofern schuld an der Zerstörung Jugoslawiens, als daß sie die sogenannte Fackel des Nationalismus entfacht hatten und einem neuen Großserbien anhingen.

Dies hat dazu geführt, daß in den Sezessionskriegen Kroatiens und Bosniens eine eindeutige antiimperialistische Stellungnahme aus der Friedensbewegung fast nicht zu hören war. Vor zwei Jahren dann - kurz vor Beginn des NATO-Krieges also - wurden zwar Bomben als »keine Lösung« bezeichnet. Ebenso wurde natürlich der NATO-Krieg verurteilt. In weiten Teilen der Friedensbewegung wurden allerdings die Kriegsgründe, die NATO und Bundesregierung vorgebracht haben, doch mehr oder weniger geteilt.

Es gab keine eigenen Bemühungen um eine reale Information über das, was uns über die Jahre präsentiert wurde. So mancher hat über die Frage des Nationalismus und Großserbien schwadroniert, als seien dies Fakten, feststehende Tatsachen. Dies wurde geschluckt und kaum hinterfragt. Insofern ist die Frage, warum heute ausgerechnet mit Slobodan Milosevic Solidarität zu üben sei, natürlich eine berechtigte. Wenn das, was über Jahre in die Köpfe geträufelt und geglaubt wurde, tatsächlich der Wahrheit entspräche, gäbe es keinerlei Anlaß, Solidarität mit Milosevic zu üben.

Das beste Beispiel ist die angebliche Brandrede Milosevics im Kosovo, gehalten 1989 anläßlich des 600. Jahrestages der Schlacht auf dem Amselfeld. Mit ihr wird großserbischer Nationalismus und Chauvinismus verbunden. Wer sich jedoch die Mühe macht, die Rede einmal ganz zu lesen, wird feststellen, daß keine Silbe und kein Satz diese Unterstellungen rechtfertigen. Im Gegenteil: Milosevic wies damals darauf hin, daß Serbien nie nur von Serben bewohnt wurde, und daß es ein Reichtum und kein Handicap für das Land ist, wenn Bürger aller ethnischen und nationalen Gruppen zusammenleben.

Wir müssen anfangen, mit unserem eigenen Kopf zu denken. Wir haben doch mittlerweile Erfahrungen mit den NATO-Kriegszwecklügen aus dem Jahr 1999 gemacht. Jeder sollte sich mithin die Frage gestatten, ob man nicht auch die vorangegangene Gehirnwäsche einmal auf ihren Wahrheitsgehalt befragen muß.

F: Unreflektierter Antimilitarismus soll also analytischem Antiimperialismus weichen?

Auf jeden Fall. Es müßte doch zu denken geben, daß Milosevic zunächst als der Ausbund eines Nationalisten bezeichnet und bekämpft wurde. Als dann aber im vergangenen Herbst die vom Westen mit Millionen unterstützten sogenannten Demokraten mit einem Staatsstreich in Belgrad an die Macht kamen, soll plötzlich das letzte kommunistische Regime in Europa gefallen sein. Aus diesem Wechsel der Wortwahl müßte doch spätestens zu erkennen sein, daß es hier um ein tieferliegendes imperialistisches Interesse ging - die Hegemonie auf der gesamten Balkan-Halbinsel herzustellen, um ein freies Aufmarschfeld für das Öl im Nahen Osten, insbesondere aber an der sogenannten weichen Südflanke Rußlands zu bekommen.

F: In dem Aufruf »Freiheit für Slobodan Milosevic - Hände weg von Jugoslawien« ist mehrfach von »serbischen Patrioten« die Rede. Ist denn die pathetisch klingende Formulierung tatsächlich hilfreich angesichts des dominanten antinationalen Diskurses in der deutschen Linken?

Vor dem Hintergrund des Diskussionsstandes der deutschen Linken mag das tatsächlich ein Problem sein. Der Bewußtseinsstand der hiesigen Linken verhindert leider eine Unterscheidung zwischen widerständischem Patriotismus und pro-imperialistischem Nationalismus. Es ist in Vergessenheit geraten, was ein fortschrittlicher Patriotismus im Sinne des Widerstandes bedeuten kann. Oder aber noch schlimmer: Er wird mit dem bürgerlichen Nationalismus und Chauvinismus des Kapitals, das heute mit seiner globalisierten supra- nationalen Maske daherkommt, auf eine Stufe gestellt und verteufelt.

F: Welche politischen Folgen wird eine Auslieferung von Milosevic an das Haager Tribunal für die internationale, aber auch für die deutsche Friedensbewegung haben?

In Jugoslawien zielt die Gehirnwäsche darauf ab, daß die Opfer allmählich glauben, die Schuldigen zu sein. Dasselbe läuft im internationalen Maßstab ab. In einem unglaublichen Kontrast zur Enttarnung der Kriegszwecklügen - Massaker in Racak, KZ in Pristina, Hufeisenplan, um nur die drei wichtigsten zu nennen - wird so getan, als gäbe es für die NATO-Aggression tatsächlich doch nur einen Schuldigen, nämlich den Repräsentanten des überfallenen Landes. Damit werden freilich all diese Enthüllungen ihrer praktischen politischen Wirksamkeit beraubt: Sie werden als unwesentliche Randerscheinungen bezeichnet, die große Linie, die mit der NATO-Aggression eingeschlagen wurde, war indes vollkommen richtig.

Es ging darum, ein unliebsames Regime, das der imperialistischen Neuordnung der Welt Widerstand geleistet hat, aus der Welt zu schaffen. Mit der Auslieferung von Milosevic soll die auf dem 50. Jahrestag der NATO-Gründung im April 1999 beschlossene neue Doktrin der Militärallianz, die dem weltweiten Interventionismus Bahn bricht, auch noch den Glorienschein einer Legitimation erhalten.

Ist Milosevic in Den Haag, scheint der ganzen Welt bewiesen zu sein, daß die NATO-Aggression gerechtfertigt und rechtmäßig war. Insofern ist dies keine Frage über das persönliche Schicksal von Milosevic allein. Es ist eine ganz prinzipielle Weichenstellung im antimilitaristischen und antiimperialistischen Kampf der Friedensbewegung international.

Das Gespräch führte Rüdiger Göbel
junge Welt vom 06.06.2001
Beilage »nato-frieden im kosovo«


Klaus Hartmann ist Vorsitzender des deutschen Freidenkerverbandes und Mitbegründer des Internationalen Komitees zur Verteidigung von Slobodan Milosevic


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