Klaus Hartmann
Solidarität mit Slobodan Miloševic - Teil des Kampfes gegen die Neue Weltkriegsordnung

«Haager Tribunal»? «Miloševic»? Auch viele Linke erinnern sich nur dunkel, dass da mal zu Jahresbeginn in allen Medien von einem «Jahrhundertprozess» die Rede war. Inzwischen herrscht Funkstille auf allen Kanälen, und dass «uns» die Haager Veranstaltung etwas angeht, ist vielen auch noch nicht klarer geworden.

«Georgi Dimitroff konnte in Leipzig gegenüber einem NS-Gericht bestehen - kraft seines überragenden Intellekts und der Solidarität der internationalen Antinaziöffentlichkeit. Slobodan Miloševic steht in Den Haag trotz seines souveränen Auftritts, der ihn, ebenso wie Dimitroff in Leipzig, vom Angeklagten zum Ankläger werden ließ, auf verlorenem Posten. Je überzeugender er die Farce von Den Haag aufdeckt, desto mehr gereicht ihm das zum Nachteil. Auf den Krieg der NATO gegen Jugoslawien Bezug nehmend, sagte Miloševic, es habe schon viele verbrecherische Kriege gegeben, doch noch nie hätten die Medien eine solch kriegsverbrecherische Rolle wie in diesem Krieg gespielt. Das ließen sich die Medien nicht bieten. Sie drehten die Mikrophone ab.» So Werner Pirker in der "jungen Welt" vom 04.05.2002.

Krieg um Öl - auf dem Balkan?

Doch sogar einige Friedensfreunde in den westlichen Ländern fühlen sich kaum betroffen von dem Schauprozess in Den Haag, wo der Aggressor sich anmaßt, über den Überfallenen zu Gericht zu sitzen. Wenn sich die Konsumtrottel der selbsternannten Informationsgesellschaft lieber von Dieter Bohlen zu Boris Beckers Wäschekammer treiben lassen, mag man das bedauern. Dass sich aber Kriegsgegner von einem Kriegsschauplatz zum nächsten hetzen lassen, ohne die Zusammenhänge zu begreifen, ist weit weniger lustig.

Der Krieg im Nahen Osten, der drohende Krieg gegen den Irak und die Aggression gegen Jugoslawien sind miteinander verbunden, verschiedene Schauplätze der 1990 begonnenen neuerlichen Neuaufteilung der Welt. Dass es beim Krieg 1991 gegen den Irak um Öl ging, dass es den USA bei ihrem nächsten Irak-Feldzug darum geht, die irakischen Ölvorräte unter ihre Kontrolle zu bringen, war und ist keine sensationelle Neuigkeit. Wer aber zu Beginn der 90er Jahre darauf hinwies, dass es auch bei der Zerstörung Jugoslawiens um Öl, um geostrategische Interessen, um den Weg zum Öl am Kaspischen Meer ging, wer Kosovo, Tschetschenien, Afghanistan und das kaspische Öl in einem Atemzug nannte, dem war bestenfalls Kopfschütteln oder das Prädikat "Verschwörungstheoretiker" gewiss.

Inzwischen hat sich zumindest herumgesprochen, dass die vermeintlichen "Antiterror"-Bemühungen um Afghanistan, Tschetschenien und die vormaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus tatsächlich den vielbegehrten Rohstoffen am Kaspischen Meer sowie den einflusssichernden Transportwegen gelten. Weniger klar ist bis heute, dass es beim Thema Jugoslawiens um nichts anderes ging. Die bei Kriegsgegnern verbreitete Unklarheit ist umso merkwürdiger, als es an Hinweisen und Informationsmöglichkeiten im Grunde nicht mangelt. In einem Interview ("Monitor" vom 05.04.2001) sagte Prof. Ernst-Otto Czempiel: «Einer der Gründe, warum die Nato in Kosovo interveniert hat, war, dass sie selber der Ordnungsfaktor Nr. 1 in Europa sein wollte, und ein zweiter war, dass auf diese Weise die Nato-Ost-Erweiterung in eine zweite Phase treten konnte. Durch die Besetzung Kosovos, durch die Präsenz in Albanien und Mazedonien hat die Nato den Lückenschluss vom Atlantik bis zum Kaspischen Meer erreicht.»

Alexander Paunov, Erster Sekretär der Kommunistischen Partei Bulgariens, erklärt das in einem Interview mit den Schweizerischen "Zeit-Fragen" am 26.08.2002 etwas genauer: "Der Balkan hat schon immer eine strategische Rolle sowohl für Europa als auch für die ganze Welt gespielt ... es war nicht zufällig, dass der Krieg 1999 in Jugoslawien geführt wurde ... der Balkan liegt im Zentrum der Energieverteilung - geht es nur um die Ölpipeline": vom bulgarischen Burgas am Schwarzen Meer soll sie "über Kosovo und Vlore in Albanien zu den Anschlüssen in der Adria führen."

Konkret geht es um den VIII. Korridor der sogenannten Paneuropäischen Netze, ein ganz Europa bis zum Ural abdeckendes Projekt, das neben Strassen und Eisenbahnen 38 Flughäfen, 13 Seehäfen, 49 Flüsse, zahlreiche Öl- und Gaspipelines und diverse Kommunikationsleitungen umfasst. Die Korridore IV und VIII verbinden es über die bulgarischen Schwarzmeerhäfen mit dem Programm TRACECA (TRAnsport Corridor Europa Caucasus Asia), die erwähnte Pipeline vom Schwarzen Meer zur Adria soll den amerikanischen Markt monatlich mit Rohöl im Wert von 600 Millionen Dollar versorgen. Die Kontrolle über diese Pipeline war das zentrale Kriegsziel der USA in Jugoslawien, wie sie mit der Errichtung von Camp Bondsteel bei Gnjilane, dem größten Militärstützpunkt der außerhalb der USA seit dem Vietnam-Krieg, nachdrücklich dokumentieren.

Als die Belgrader Marionettenregierung am 28. Juni 2001 ihren Auftrag erfüllte, den früheren Staatspräsidenten Jugoslawiens an den Volksgerichtshof der NATO auszuliefern, gerieten die Kriegsverbrecher der NATO-Staaten in Verzückung. Dafür hatten die NATO-Staaten seit Ende ihrer Aggression Hunderte Millionen Dollar für einen Wahlsieg der «Opposition» nach Jugoslawien gepumpt, deshalb konnten Kriegsverbrecher wie der deutsche Außenminister Joseph Fischer im Oktober 2000 von einer «Freiheitsrevolution des serbischen Volkes» schwärmen.

"Heilsame Wirkung"

"Ein Prozess gerade gegen Miloševic bilde die eigentliche Existenzberechtigung des Tribunals», zitierte die Deutsche Presse-Agentur am 29.06.2001 einen nicht näher bezeichneten Haager «Gerichts»-Sprecher. Am selben Tag meldete Associated Press, «der amerikanische Präsident Bush hat Belgrad für die Auslieferung gelobt.» Freie Bahn für die bevorstehenden imperialistischen Kriege! Damit ist der eigentliche Sinn der Existenz des Haager «Tribunals» exakt beschrieben. Mit Miloševic in Den Haag soll vor Augen geführt werden, wohin Widerstand gegen die Neue Weltkriegsordnung führt. Das machte schon am 29.07.1999 Senator Biden in einer Anhörung des US-Senats deutlich: "...wenn wir Miloševic zu Klump schlagen" habe das "heilsame Auswirkungen auf die Extreme in (anderen) Ländern".

Es ist ein unschätzbares Verdienst von Miloševic, von Anfang an deutlich gemacht zu haben, dass es sich in Den Haag um ein «falsches Gericht» handelt. Erst durch seine von den Gehirnwäschermedien als «stur» gescholtene Haltung und Argumentation drang es in das Bewusstsein größerer Teile der Öffentlichkeit: Dieses «Tribunal» hat keine Rechtsgrundlage, es wurde unter Verletzung der UN-Charta ins Leben gerufen, vom hierzu nicht befugten Sicherheitsrat, seine Finanzierung durch eine Kriegspartei macht die Unparteilichkeit dieses «Gerichts» von vornherein unmöglich. Der Rückfall hinter zivilisatorische Errungenschaften wie die Prinzipien der Unschuldsvermutung oder der Gewaltentrennung werden - zum Schaden kommt der Hohn - als «Weiterentwicklung» des Völkerrechts ausgegeben.

Nach Deutschlands trauriger Vorreiterrolle bei der Zerstörung Jugoslawiens haben die USA und ihre NATO-Verbündeten auf dem Balkan eine große Zahl abhängiger und kaum lebensfähiger Kleinstaaten, Protektorate und Halbkolonien geschaffen sowie Militärstützpunkte errichtet, "um die Region zu kontrollieren und von diesem geostrategischen Punkt aus ihre Kontrolle über die Rohstoffe Mittelasiens und deren Transportwege auszudehnen" - wie Slobodan Miloševic es in Den Haag so treffend analysierte.

Die Aufgabe des Haager «Tribunals» ist es, diese Motive zu verhüllen, die NATO-Aggression nachträglich zu legitimieren und die Schuld für die Tragödie auf dem Balkan den Opfern dieser Gewaltpolitik anzulasten. In seinen «Anklagen» übernimmt es alle sattsam bekannten Stereotypen des Medienkrieges und der NATO-Kriegspropaganda einschließlich längst enttarnter Kriegszwecklügen, um Milosevic und die Führung Jugoslawiens jener Verbrechen zu bezichtigen, die ihre eigenen NATO-Herren gegen Jugoslawien begangen haben. Völlig offenkundig ist dieses «Tribunal» keine Institution der Rechtsprechung, sondern der Fortsetzung der Aggression mit anderen Mitteln. Es ist Teil der Zerstörung des Völkerrechts, die mit der Selbstmandatierung der NATO ihren Anfang nahm, die Ersetzung der Herrschaft des Rechts durch das «Recht» des Stärkeren.

Ramsey Clark, früherer Justizminister der USA und heute Co-Präsident des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Miloševic, stellte zum Charakter dieses «Tribunals» in einem Interview mit dem Neuen Deutschland am 11.07.2001 fest: «Nur nach einer Änderung der Charta oder im Rahmen eines multinationalen Vertragswerks wäre es möglich, ein derartiges Gericht legal einwandfrei einzurichten. Das Haager Tribunal ist auf Druck und mit dem Geld der USA entstanden, die einen ihrer Feinde beiseite schaffen wollen. Auf der einen Seite stehen die USA, die Jugoslawien 78 Tage lang brutalst bombardiert haben, und die Supermacht kann dafür nicht belangt werden. Auf der anderen Seite befindet sich das Opfer der Bombardierung, und seinem staatlichen Repräsentanten soll der Prozess gemacht werden.»

Es muss daran erinnert werden, dass der «Prozess» aus Sicht der NATO auch deshalb notwendig wurde, da ihr früherer Versuch, den «Angeklagten» zu beseitigen, misslang. Es war der glatte Mordversuch, den die NATO mit ihrem Angriff auf die Wohnung des jugoslawischen Staatspräsidenten unternahm - als am 22.04.1999 gegen 03.10 Uhr drei Marschflugkörper des Typs BGM - 109 Tomahawk in der Belgrader Straße Uzicka Nr. 115 einschlugen.

Gegen den Irak «keinen Krieg»?

Vor der Bundestagswahl wendete Bundeskanzler Gerhard Schröder das Blatt zu seinen Gunsten, indem er plötzlich den Friedenskanzler gab. Sein Versprechen einer Nichtteilnahme an einem neuen Krieg gegen den Irak erinnert unwillkürlich an 1999, wo wir schon mal keinen Krieg führten: Am 24. März 1999 wandte er sich an uns «Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger», um die historischen Worte zu sprechen: «Wir führen keinen Krieg...».

Wer seinerzeit zur NATO-Aggression schwieg, will die unangenehme Erinnerung am liebsten verdrängen und vergessen. Das Problem ist, dass wer aus der Geschichte nicht lernen will, dazu verurteilt ist, sie zu wiederholen. Die Kriege nehmen an Intensität, Zahl und Ausdehnung der betroffenen Gebiete zu, das Jahr 2001 wurde zum Rekordjahr: Sechs Mal beschloss der deutsche Bundestag Interventionseinsätze der Bundeswehr im Ausland.

Dabei müssten die Lernunwilligen nur den Worten unseres Bundeskanzlers Schröder etwas Vertrauen schenken. Nach dem Nicht-Krieg gegen Jugoslawien war er klüger, wunderte sich aber: «Über eines habe ich mich immer gewundert. (...) Wie wenig wahrgenommen worden ist, dass die Entscheidung zum Krieg eine fundamentale Veränderung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik bedeutet hat. Ich behaupte: Keine andere Regierung als unsere hätte sie so treffen können und so ausgehalten.»

Aber was hat das mit Jugoslawien zu tun? Auch das erklärt uns unser Kanzler, im Interview mit der ZEIT «zur Bedrohung der westlichen Zivilisation sowie Deutschlands Rolle in der Welt» am 18. Oktober 2001: «Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass uneingeschränkte Solidarität für die Bundesregierung auch einschließt, einen militärischen Beitrag zu leisten, falls die Amerikaner ihn erbitten. Wir haben nicht erst heute oder seit dem 11. September angefangen zu handeln, sondern wir haben in den letzten drei Jahren - manchmal etwas unbemerkt - deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, wie ich glaube, fundamental verändert. Das begann mit der Entscheidung, im Krieg gegen Milosevic teilzunehmen und der Nato deutsche Kampfflugzeuge zur Verfügung zu stellen.»

Man könnte es kaum deutlicher sagen, dass der Überfall auf Jugoslawien die Einstiegsdroge, der Türöffner-Krieg für alle weiteren war, und die «Enttabuisierung des Militärischen» machte Schröder zur Schlüsselbotschaft seiner Regierungserklärung am 11. Oktober 2001: «Es geht ja nicht darum, dem Militärischen einen unverdienten Raum zu geben, sondern diesen Aspekt der Außenpolitik nicht zu tabuisieren, was lange gemacht wurde.» Anschließend erklärte der mittlerweile ausgemusterte Scharping seinen «neuen», einen «umfassenden» Begriff von Sicherheit: «Wir wissen doch alle, dass zum Beispiel die weltwirtschaftliche Stabilität und die weltwirtschaftliche Sicherheit von dieser Region stark beeinflusst werden können, von jener Region, in der 70 Prozent der Erdölreserven des Globus und 40 Prozent der Erdgasreserven des Globus liegen.» Da ist plötzlich die «humanitäre» Maske gefallen, «wir» bekennen uns endlich offen zu unseren Öl- und Gas- und geostrategischen Interessen.

Kritiker von Schröders Vorwahl-Pazifismus leiten die Verpflichtung zu weiterem Kriegführen exakt aus dem "guten Beispiel" der Aggression gegen Jugoslawien ab. So liest man in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 17.09.2002 "Ohne die Anwendung militärischer Gewalt der NATO wäre es nie zu einem Regimewechsel in Jugoslawien gekommen. Milosevic stünde heute nicht in den Haag vor Gericht", und am 19.09.2002 kommt der US-Abgeordnete Gutknecht zu Wort: "So wie der Balkan ein besserer Ort ohne Milosevic ist, so wird auch der Nahe Osten ein besserer Platz ohne den Tyrannen im Irak sein". Die Welt vom 04.10.2002: "Es war Bill Clinton, der in dieser Woche auf dem Labour-Parteitag daran erinnerte, dass auch im Kosovo die NATO nach dem Scheitern der Diplomatie gegen Milosevic militärisch vorgehen musste, sogar ohne flankierende UNO-Resolution." Und im Tagespiegel (07.10.2002) fragt der Chefredakteur der Zeit, Josef Joffe: " Warum haben wir dann mitgeholfen, Milosevic aus dem Amt zu bomben?"

Und schon 14 Tage nach der Wahl kündigten die SPD-Politiker Klose, Weiskirchen und Hänsch an, dass "neue Erkenntnisse eine neue Sichtweise begründen" würden (Die Welt, 04.10.2002), Joseph Fischer erklärte am 15.10.2002 im Guardian: "Vergessen Sie den ´deutschen Weg!", der neue Kriegsminister Struck verlängerte am 16.10.2002 die Stationierung der ABC-Panzer und -Truppen in Kuwait um mindestens weitere 6 Monate und erklärte die Diskussion um einen Irak-Angriff als "im Augenblick nicht hilfreich" (Die Welt, 17.10.2002).

Auflösung des NATO-Tribunals auf der Tagesordnung

Im Ernstfall wird sich die Bundesregierung des Lobes würdig erweisen, das der unvergessene NATO-Sprecher Jamie Shea ihr anlässlich der NATO-Aggression aussprach: «nicht der öffentlichen Meinung hinterher rennen, sondern diese zu formen verstehen». «Die politischen Führer spielten nun die entscheidende Rolle für die öffentliche Meinung. Sie sind die demokratisch gewählten Vertreter. Sie wussten, welche Nachricht jeweils für die öffentliche Meinung in ihrem Land wichtig war. ... Psychologisch ist diese neue Definition von Sicherheitspolitik nicht einfach. Nicht nur Minister Scharping, auch Kanzler Schröder und Minister Fischer waren ein großartiges Beispiel für politische Führer, die nicht der öffentlichen Meinung hinterher rennen, sondern diese zu formen verstehen.

Es stimmt mich optimistisch, dass die Deutschen das verstanden haben. Und jenseits der sehr unerfreulichen Begleiterscheinungen,» - jetzt kommt das schöne Wort wieder - «der Kollateralschäden, der langen Dauer der Luftangriffe, hielten sie Kurs. Wenn wir die öffentliche Meinung in Deutschland verloren hätten, dann hätten wir sie im ganzen Bündnis verloren.»

Die vordringliche Aufgabe ist es heute, dass die NATO genau diese «öffentliche Meinung» endlich verliert. Dazu gehört, klar zu machen: Der Aggressionskrieg gegen Jugoslawien war der entscheidende, der Türöffnerkrieg für die weiteren Kriege. Dazu gehört auch, ständig in Erinnerung zu rufen, was der sympathische NATO-Sprecher über das Haager Tribunal zu sagen wusste: «Die NATO ist die Freundin des Tribunals. Es waren die NATO-Länder, die das Geld für seine Errichtung bezahlt haben, wir stellen die Mehrzahl der Geldgeber», so Jamie Shea am 16. Mai 1999, noch während der Luftangriffe auf Jugoslawien. Er sollte sich nicht täuschen. Die «Chefanklägerin» Del Ponte lehnte es ab, auch nur Ermittlungen gegen die NATO-Staaten zu beginnen. Freundschaft beruht eben bekanntlich auf Gegenseitigkeit. Deshalb kann man den Satz über die Freundin des Tribunals - ohne ihm Gewalt anzutun - auch einfach umdrehen, und dann heißt er: «Dieses Tribunal ist die Freundin der NATO!» Diese einfache Wahrheit gilt es, zu erkennen, und mehr Menschen bewusst zu machen.

Ein Lehrstück über die aktuelle «Weiterentwicklung» des Völkerrechts bietet die Auseinandersetzung um die Internationale Strafgerichtsbarkeit. Die USA lehnen den Internationalen Strafgerichtshof ebenso vehement ab, wie sie auf dem völkerrechtswidrigen ad-hoc-Tribunal in Den Haag bestehen. Sogar eine gesetzliche Ermächtigung zur militärischen Invasion der Niederlande haben die USA für den Fall beschlossen, dass ihre Bürger vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht würden. Dies ist ein Musterbeispiel von «Justiz im Zeichen der Globalisierung», es kennzeichnet das Haager ad-hoc-«Tribunal» als ein Kriegsgericht im Zeichen der Neuen Weltkriegsordnung. Daraus folgt zwingend, für die Auflösung dieses illegalen «Gerichts» einzutreten, und für die Freilassung all seiner Gefangenen.

Gebraucht wird mehr Klarheit in den Köpfen über Zusammenhänge und die imperialistischen Interessen, nicht minder Mut zu konsequentem Denken, darauf, nicht aus Opportunismus auf das Aussprechen des Erkannten zu verzichten, und insbesondere nicht vor dem verordneten Mainstream zu Kreuze zu kriechen. Dieser Mainstream baut in den westlichen Ländern auf eine langjährige antiserbische Volksverhetzung, auf Gehirnwäsche, auf die Dämonisierung von Miloševic als der Inkarnation des Bösen. Es hilft nichts, diesem Mainstream «Zugeständnisse» zu machen, ihm muss in aller Entschiedenheit und mit Argumenten entgegengetreten werden.

Jugoslawien war das erste Land, das sich gegen die «Neuen Weltordnung» gewehrt hat, die von der NATO seit 1990 errichtet werden soll. Miloševic ist das Symbol des Widerstandes gegen diese «Neue Weltordnung» der NATO. Und genau dafür, für diese «Unbotmäßigkeit», Widerstand gegen das Imperium geleistet zu haben, soll er in Den Haag abgestraft werden. Miloševic ist ein politischer Gefangener der NATO, und deshalb gehört ihm die unbedingte Solidarität aller, die für Frieden, Unabhängigkeit und Gerechtigkeit in einer Welt der Gleichen eintreten.

Nach dem totalen Fiasko der "Kosovo-Anklage" im Zirkus del Ponte wäre nach den eigenen Regeln des "Tribunals" die Zurückweisung der Anklage fällig. Doch die Haager Inquisitoren suchen den Ausweg aus ihren Schwierigkeiten darin, nichts unversucht zu lassen, um Slobodan Miloševic zu brechen und physisch zu erschöpfen. Die Stellungnahmen ihrer angeblichen Besorgnis über seine Gesundheit sind widerlich und unmoralisch. Im Gefängnis wurde er elementarer menschlicher Bedingungen beraubt, sie selbst haben ihm eine adäquate medizinische Behandlung entzogen, um später scheinheilig seinen verschlechterten Gesundheitszustand zu beklagen, den ausschließlich sie selbst zu verantworten haben. Die angekündigten verhandlungsfreien Tage werden ebenso wenig eingehalten wie das Versprechen, nicht mehr acht Stunden täglich zu verhandeln. Es ist höchste Zeit, dass insbesondere Ärzte von diesem "Tribunal" die umgehende Sicherstellung der notwenigen medizinischen Versorgung fordern.

Da Slobodan Miloševic die Rechtmässigkeit des "Tribunals" nicht anerkennt, erhält er im Gegensatz zu anderen Häftlingen in Den Haag keinerlei Mittel für seine Verteidigung. Auch das Belgrader Regime verweigert - im Gegensatz zu jeder normalen Regierung, und gegen die verfassungsmäßige Verpflichtung zur rechtlichen Hilfe für eigene Staatsbürger im Ausland - nicht nur jede finanzielle Unterstützung sowie den Zugang zu staatlichen Archiven, sondern legt seiner Verteidigung auf Schritt und Tritt Hindernisse in den Weg. Für den Rechtsbeistand und Zeugenreisen nach den Haag werden dringend Spenden benötigt:

Internationales Komitee für die Verteidigung von Slobodan Miloševic - Deutsche Sektion, c/o Peter Betscher, Konto-Nr. 102013409 bei Volksbank Darmstadt, (BLZ 508 900 00); Kennwort: "Verteidigung"

Klaus Hartmann ist Vorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes und Sprecher der Deutschen Sektion des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic.

aus Marxistische Blätter, Ausgabe 6-02


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