Ralph Hartmann
Zweiter Akt in Den Haag

Auf der Bühne des Jugoslawien-Tribunals am Churchillplatz 1 in Den Haag hat sich der Vorhang zum 2. Akt des absurden Spektakels mit dem Titel "Prozeß gegen Slobodan Milosevic" gehoben, in dem der Aggressor über den Angegriffenen zu Gericht sitzt. Der von der NATO initiierte, unter Verletzung der UN-Charta geschaffene Gerichtshof verhandelt jetzt über die sogenannte Kroatien- und Bosnien-Klage, die dem ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und im bosnisch-herzegowinischen Falle gar Völkermord vorwirft.

Der 1. Akt, genannt Kosovo-Verfahren, auf den hier zunächst zurückgeblickt werden soll, entwickelte sich zu einer einzigen Niederlage der Chefanklägerin und ihrer Auftraggeber, obwohl es Carla del Ponte an nichts gefehlt hatte: nicht an geheimdienstlicher Beihilfe und Wohlwollen der Richter, an politischem Beistand der meisten NATO-Staaten und willfähriger Unterstützung der Belgrader Djindjic-Regierung, an Personal und an Geld - bisher verschlang der Gerichtshof über eine Milliarde Dollar. Alles mißlang ihr. Rund 100 Zeugen ließ sie im Gerichtssaal aufmarschieren, keiner von ihnen bestand die vom Angeklagten geführten Kreuzverhöre.

Sorgfältig ausgesuchte und präparierte Zeugen aus Kosovo verhedderten sich allesamt in Widersprüchen. Sogenannte geschützte Zeugen, deren Identität der Öffentlichkeit durch allerlei Maskeraden verborgen blieb, wurden der Lüge überführt oder verweigerten trotz intensivster Bearbeitung seitens der Staatsanwaltschaft im letzten Moment die Aussage, so zum Beispiel der serbische Zeuge K12, dem deshalb Mißachtung des Gerichtes vorgeworfen und eine Höchststrafe von 100 000 Euro angedroht wurde. Selbst General a. D. Klaus Naumann, zum Zeitpunkt des Überfalls auf Jugoslawien Vorsitzender des NATO-Militärausschusses und von einem der Staatsanwälte als "bisher bester Zeuge" gerühmt, lieferte der Anklage keine Pluspunkte. Zwar sagte er zu deren anfänglicher Freude aus, Milosevic habe ihm indirekt angekündigt, zur Herstellung eines ethnischen Gleichgewichtes in Kosovo die Albaner zusammenzutreiben und erschießen zu wollen. Die Frage, weshalb er diese schreckliche Ankündigung sogar gegenüber der NATO, die händeringend nach einer Kriegsrechtfertigung suchte, jahrelang verschwiegen habe und weshalb der Belgrader Unhold gerade ihm, dem mit einem Ultimatum in die jugoslawische Hauptstadt angereisten NATO-Führer, diese Absicht anvertraut habe, konnte er leider nicht beantworten. Dafür mußte er gerichtsnotorisch eingestehen, daß der Krieg gegen Jugoslawien ohne Mandat des Weltsicherheitsrates, folglich unter offenem Bruch der UN-Charta, geführt worden war, zudem mit international geächteten Waffen, u. a. mit Streubomben und Uran-Munition. Wahrlich ein glänzender, eben der "beste Zeuge" für den Nachweis von Kriegsverbrechen!

Schließlich ließ auch der ehemalige Chef des jugoslawischen Staatssicherheitsdienstes, Rade Markovic, der als "Insider" gegen Milosevic aussagen sollte, bei del Ponte wenig Freude aufkommen. Direkt aus einem Belgrader Gefängnis nach Haag verbracht, wurde der angekündigte Hauptzeuge der Anklage zu einem wichtigen Entlastungszeugen für den Angeklagten. Markovic offenbarte vor Gericht, daß ihm Djindjics Innenminister Mihajlovic während eines guten Abendessens außerhalb der Gefängnismauern Straffreiheit, eine neue Identität, die Ausreise in ein anderes Land und lebenslange finanzielle Unterstützung für sich und seine Familie angeboten hatte, wenn er Milosevic im gewünschten Sinne belaste. Statt sich dieser Erpressung zu beugen, bestätigte der Ex-Sicherheitschef, daß Belgrad, also letztlich Milosevic während des gesamten Kosovo-Konfliktes strikt befohlen hätten, die Zivilbevölkerung ohne Unterschied der Nationalität zu schützen und Kriegsverbrechen, die von Angehörigen der jugoslawischen Polizei oder Armee begangen worden waren, zu ahnden. An diesem Punkt des Kreuzverhörs schaltete der ehrenwerte britische Richter May, nicht zum ersten Mal, dem Angeklagten das Mikrofon ab.

Nun also, nach der Sommerpause, geht es um die Verantwortlichkeiten während der Bürgerkriege in Kroatien sowie in Bosnien-Herzegowina. Und wieder steht der falsche Mann vor Gericht. Denn Milosevic unterstützte im Verlauf der bewaffneten Auseinandersetzungen die fünf aufeinanderfolgenden internationalen Friedenspläne und erwarb sich um das Zustandekommen des Friedensvertrages von Dayton unbestrittene Verdienste, die seinerzeit auch in NATO-Kreisen gewürdigt wurden.

Die eigentlichen Verantwortlichen an der Tragödie, die zielstrebig mitwirkten, die jugoslawische Föderation zu zerschlagen, bleiben ungeschoren. Einer von ihnen ist bekanntlich Hans-Dietrich Genscher, damaliger deutscher Außenminister, der den innerjugoslawischen Konflikt schürte und als erster der jugoslawischen Teilrepublik Kroatien die Unabhängigkeit in Aussicht stellte, wenn nur die militärischen Auseinandersetzungen weitergingen. Seine Mitschuld am apokalyptischen Untergang Tito-Jugoslawiens liegt offen zu Tage. Selbst seine NATO-Amtskollegen, der US-Amerikaner Warren Christopher und der Franzose Roland Dumas, haben freimütig erklärt, daß mit der "voreiligen und überstürzten Anerkennung" Sloweniens und Kroatiens die "Möglichkeiten für eine Verhandlungsregelung vertan wurden" und die "Verantwortlichkeiten Deutschlands und des Vatikans ... offenkundig enorm waren". Henry A. Kissinger stellte ohne größere Umschweife fest, daß die ebenfalls von Genscher vorangetriebene Anerkennung eines unabhängigen bosnischen Staates durch die NATO "nicht die Geburt eines Landes, sondern einen Bürgerkrieg bewirkte".

Doch Genscher ist ein Ehrenmann, und Milosevic, das Balkanmonster, steht vor Gericht. Für den 2. Akt des Spektakels hat Carla del Ponte bisher 177 Zeugen angekündigt, die der sich weiterhin selbst verteidigende Milosevic ins Kreuzverhör nehmen muß und wird. Während der kurzen Sommerpause hatte er hinter den schattigen Mauern des Gefängnisses in Scheveningen ausreichend Muße, sich darauf vorzubereiten. Großzügig hatte ihm das Gericht dafür 97 000 Seiten Text und mehrere Hundert Ton- und Videobänder übergeben...

In seinem Eingangsplädoyer machte Milosevic darauf aufmerksam, daß es weder in Bosnien noch in Kroatien eine Aggression, sondern einen Bürgerkrieg gab, in dem sich die Serben gegen die Sezession und deren Folgen verteidigten. Er wolle, so der Angeklagte, keineswegs bestreiten, daß im Verlauf dieser Auseinandersetzungen Kriegsverbrechen verübt wurden, deren "Opfer alle drei Völker waren". Im Bürgerkrieg hätten "die Serben den Serben geholfen, was hier zum Verbrechen erklärt wird. Aber weshalb", so fragte er, "ist es dann kein Verbrechen, daß der Vatikan Geld für die Beschaffung von Waffen für Kroatien gab? Weshalb sind die Serben Verbrecher, aber der Papst ist der ´Heilige Vater´?"

Verständlicherweise blieb die Staatsanwaltschaft die Antwort schuldig. Statt dessen erklärte del Pontes Stellvertreter Geoffrey Nice in düsterer Vorahnung neuer Niederlagen: "Milosevic handelte aus einer leeren Kanzlei, und wie alle Verbrecher und Kriminellen hat er keine Spuren und schriftliche Beweise hinterlassen. Mit Personen hat er sich nur persönlich getroffen. Hieraus resultiert auch das Problem mit den Zeugen, besonders aus der Kategorie seiner nächsten Mitarbeiter, die in Versuchung geraten könnten, nicht die Wahrheit zu sagen!"

Offensichtlich befürchtet die NATO, daß die von ihr engagierten Hauptdarsteller und Komparsen auch im 2. Akt der ihnen übertragenen Rolle nicht gerecht werden könnten. Deshalb behandeln die NATO-konformen Medien, also fast alle, den geplanten sensationellen Schau- vorerst weiterhin als Geheimprozeß. Er eignet sich eben ganz und gar nicht dazu, die NATO-Aggression gegen Jugoslawien im nachhinein zu rechtfertigen. Aber ganz gleich, was die Beweisaufnahme erbringt, Richter May, der Herr der Mikrofone, wird sich schwerlich davon abbringen lassen, am Ende ein Urteil nach den Wünschen Washingtons, Londons, Berlins und der kläglichen Chefanklägerin zu sprechen.

aus der Zweiwochenschrift Ossietzky (Nr. 21)


zurück  zurück