Eine Provinzposse aus Erfurt

Nato-Morde sind keine Morde

Fast drei Jahre ist es her, dass Nato-Flugzeuge Raketen auf die Brücke der militärfreien Kleinstadt Varvarin in Serbien abfeuerten. Während Dorfbewohner die Opfer der ersten Angriffswelle bargen, wurde die Brücke erneut beschossen - insgesamt starben zehn Menschen, 14 wurden schwer verletzt.

Der Projektrat "NATO-Kriegsopfer klagen auf Schadenersatz" hat die Bundesregierung verklagt. Eine Fotoausstellung über die Opfer von Varvarin erregte jetzt das Missfallen der Landtagspräsidentin in Erfurt - die Bilder wurden aus den Landtagsräumen entfernt. Die UZ befragte dazu Harald Kampffmeyer, Mitglied des Projektrates.

UZ: Warum wird die Ausstellung "Die Brücke von Varvarin" nicht im Erfurter Landtag gezeigt?

Harald Kampffmeyer: Die Ausstellung mit den Bildern über die Folgen der Nato-Bomben auf Varvarin hatte schon vorher einiges Aufsehen erregt. Deswegen hatte die PDS-Fraktion im Erfurter Landtag uns angesprochen, ob wir die Fotos von Gabriele Senft dort zeigen könnten. Wir haben dann die Bilder aufgehängt - aber einen Tag vor der offiziellen Eröffnung kamen Späher der CDU-Fraktion in die PDS-Räume. Ncht um die Politik zu studieren, sondern um zu gucken, was da an Schrecklichem hängt. Aus den Reaktionen können wir schließen, dass ein Störzustand im Denken und Fühlen der CDU-Leute eingetreten sein musste.

UZ: Die Ausstellung wurde also von der CDU-Landtagspräsidentin Lieberknecht verboten...

Harald Kampffmeyer: Es hieß erstens, der Gesamttenor der Ausstellung verletze die Neutralitätspflicht des Landtages. Zweitens sagte Frau Lieberknecht, der Landtag als solcher stehe in einer besonderen Treuepflicht gegenüber Verfassungsorganen, und zwar gegenüber der Bundesregierung, gegenüber dem Bundestag und - man höre und staune! - auch gegenüber der Bundeswehr, die damit in den Rang eines Verfassungsorgans gehoben wird. Und unsere Ausstellung verletze diese Treuepflicht. Der Bundestag habe den Krieg gegen Jugoslawien beschlossen, die Bundesregierung habe ihn geführt und die Bundeswehr habe dies ausgeführt. Das alles ist ihrer Meinung nach überhaupt nicht zu kritisieren - und es sei unzulässig, die genannten Organe zu kritisieren.

UZ: Woran hat Frau Lieberknecht konkret Anstoß genommen?

Harald Kampffmeyer: Frau Senft, die Fotografin, hatte in ihre Ausstellung eine Vortafel integriert, auf der sie ihre Gefühle zum Ausdruck bringt, dass die Opfer von Varvarin Terroropfer seien - wie die Opfer des 11. September in den USA. Das wollte Frau Lieberknecht nicht dulden - denn in Varvarin hatte die Nato getötet und die Nato ist eben kein Terrorist. Es können daher auch keine Terroropfer sein.

Auf der ersten Haupttafel stand ein Zitat des Varvariner Bürgermeisters, dessen 15-jährige Tochter auf der Brücke von der Nato ermordet wurde. Er hatte gesagt: Wenn in diesen Flugzeugen Menschen und nicht Mörder gesessen hätten, hätten sie die Menschen auf der Brücke vor der Beschießung zumindest durch einen Überflug warnen müssen. Darin sah Frau Lieberknecht eine verkappte Variante des Satzes "Soldaten sind Mörder". Dementsprechend schlussfolgerte sie, der Varvariner Bürgermeister habe mit diesem Satz deutsche Soldaten diffamieren wollen. Dies könne nicht zugelassen werden, die Tafel müsse also abgehangen werden.

Auf der zweiten Haupttafel waren die schrecklichen Tatortfotos zu sehen, die zerfetzten Körper der Getöteten, und Gabi Senft hatte dazu ausgeführt, dies seien die Ermordeten von Varvarin. Und da die Nato ja bekanntlicher Weise nur tötet, aber nicht mordet, sollte diese Tafel auch weg. Gabi Senft bestand aber darauf, dass die Ausstellung als Ganzes gezeigt wird. Nachdem sich die PDS-Landtagsfraktion weigerte, die Fotos zu entfernen, haben dann die Butler des Hauses die Tafeln abgehängt und in den inneren Bereich der Fraktionsräume gebracht.

UZ: Die Ausstellung wurde aber vorher schon mehrfach öffentlich gezeigt...

Harald Kampffmeyer: Das war der sechste Ort. Im Schweriner Landtag zum Beispiel hatte niemand daran Anstoß genommen.

UZ: Können Sie kurz den Stand der angestrebten Klage gegen die Bundesregierung schildern?

Harald Kampffmeyer: Wir haben im Dezember die Klage dem Landgericht Berlin übergeben. Die nächste Hürde ist, dass das Gericht auch bezahlt wird. In einer ersten Entscheidung hatte das Gericht festgestellt, dass der Streitwert - sehr gering übrigens, wir setzen etwa 200 000 Mark für einen der Ermordeten an - auf Gerichtskosten von 42 000 Euro hinausläuft. Und die müssen wir bis Mai bezahlen. Mai deswegen, weil wir annehmen müssen, dass nach deutschem Recht die dreijährige Verjährungsfrist geltend gemacht wird. Und am 30. Mai 2002 sind drei Jahre seit der Bombardierung rum, bis dahin muss das Gericht bezahlt sein, bevor es tätig wird.

Die Fragen stellte
Peter Wolter

unsere zeit - Zeitung der DKP, vom 8. März 2002


Wollen Schadenersatz: (von links nach rechts) Biljana und Jan van de Loo, Harald Kampffmeyer, Gordana Milanovic, Cornelia Kampffmeyer, Gabriele Senft.


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