Internationales Komitee für die Verteidigung von Slobodan Milosevic - Deutsche Sektion

Pressemitteilung 03/2001
09.07.2001

DER "FALL MILOSEVIC" IM SPIEGEL DER PRESSE

Die Aushändigung von Slobodan Milosevic an das Tribunal in Den Haag wird von der Mehrzahl der Medien als "Sieg der Demokratie" und "Durchsetzung des Rechts" bejubelt. Doch die wahre Bedeutung dieses Gewaltaktes kann dem aufmerksamen Leser nicht verborgen bleiben. Hier die wichtigsten Zeitungszitate:


"Unser Balkan - Alle Lektionen der letzten zehn Jahre kreisen um das eine Wort Macht." Unter dieser Überschrift stellt Die Welt (30.6.2001) in einem Leitartikel von Nikolaus Blome die Aushändigung von Milosevic in den Zusammenhang mit der Machtpolitik Deutschlands auf dem Balkan: "Uneinigkeit war die Schwäche Europas - und das Zögern, sich der eigenen Stärke zu bedienen. Ohne die Amerikaner, ohne ihren entschlossenen Einsatz politischer wie militärischer Macht hätte Slobodan Milosevic Mitte der neunziger Jahre über Europa gesiegt. Der despotische Präsident trieb für nicht kurze Zeit einen Kontinent stabiler Demokratien vor sich her; welch ein Debakel. Und welch ein Wandel seither, in kaum sechs Jahren: Wenn demnächst auf die eine oder andere Weise Mazedonien noch dazukommt, wird die gesamte Region ein unerklärtes Protektorat der Europäischen Union sein. Die EU organisiert nach ihrem Vorbild die regionale Zusammenarbeit und den wirtschaftlichen Wiederaufbau. Daneben bannt sie mit der Nato Krieg und Bürgerkrieg. Und am Ende des vorgezeichneten Weges werden die Staaten des ehemaligen Jugoslawien unweigerlich Teil der EU werden. Was diesen Wandel möglich machte, war die Einsicht in die eigene Verantwortung, klarer noch: die Versöhnung mit der eigenen Macht. Ja, der Balkan ist unser Hinterhof. Ja, wir haben dort Interessen, für die wir einstehen wollen. Ja, militärische Macht gehört in letzter Konsequenz eben doch zu den Mitteln, diese Interessen und Werte durchzusetzen. Franzosen und Briten war dieser selbstbewusste Kanon vielleicht nicht neu, doch auch sie blieben auf dem Balkan ohne Macht - bis die Deutschen sich besannen, zögerlich noch unter der Regierung Kohl, zur Entschlossenheit gezwungen unter der Regierung Schröder. So hat sich Europa verändert, weil vor allem die Deutschen sich verändert haben. (...) In diesem Selbstbewusstsein haben die Europäer die politischen Regeln des Westens in Südosteuropa durchgesetzt. Mit der Überstellung ihres gestürzten Führers erkennen die Serben das nun an; (...) Damit vertrauen sie sich auch selbst Europa an und appellieren in kaum zu steigernder Offenheit an unsere Verantwortung - noch dazu stellvertretend für die ganze Region. Wer Stärke zeigt, wer Interessen hat und sie durchsetzen will - der haftet lange. Am Tag, an dem Slobodan Milosevic in seine Zelle kam, tritt dies klarer denn je als die nächste Lektion hervor, die uns der Balkan lehren wird."


"Es seien ´natürlich die Amerikaner´ gewesen, deren Druck die Auslieferung bewirkt habe, aber diesmal doch ´nicht nur die Amerikaner´. Kanzlerberater Michael Steiner verweist auf einen Brief des Bundeskanzlers an die jugoslawische Führung, in dem Gerhard Schröder vergangene Woche klar gemacht hat, dass Berlin die harte Haltung der USA teilt. Eine ´unmissverständliche Botschaft´ sei das gewesen, die zur Klarstellung nötig war. Weil die neuen Belgrader Freunde offenbar dachten, die Deutschen seien in Sachen Milosevic großmütiger. Die deutsche Argumentation zu der Entscheidung von Zoran Djindjics, den Beschluss des jugoslawischen Verfassungsgerichts zu ignorieren, wird man sich jedenfalls merken müssen - etwa mit Blick auf Flüchtlingsfragen: ´Völkerrecht bricht Landesrecht´, heißt es in Berlin. Wenn innerstaatliches Recht dem internationalen Recht entgegenstehe, müsse das innerstaatliche geändert werden." (Richard Meng, "Lieber auf die Zunge beißen beim Eigenlob - In Berlin bleiben die Hinweise dezent, dass es deutschen Einfluss auf Belgrads Entscheidung gab", in Frankfurter Rundschau v. 30.6.2001).


Egon Bahr, der ehemalige Vordenker deutscher Ostpolitik, antwortet auf die Frage, was er unter dem Gesichtspunkt der Stabilisierung von der Auslieferung Milosevic nach Den Haag halte: "Ich habe sie für einen Fehler gehalten. Wir haben 1945 mit dem Vorwurf gelebt, dass das deutsche Volk nicht fähig gewesen ist, Hitler allein loszuwerden. Das Ergebnis waren die Nürnberger Prozesse. Anders als das deutsche Volk war die jugoslawische Bevölkerung fähig, Milosevic loszuwerden. Insofern haben sie einen Nachweis ihrer - ich sage mal: demokratischen Reife erbracht. Das hätte der Westen honorieren müssen und sagen müssen: Chapeau, nun stellt ihn auch vor Gericht. Dann werden wir ja sehen. Ich hätte mir gewünscht, dass nicht das Gefühl der möglichen Demütigung in der serbischen Bevölkerung entsteht. Das ist nicht in Ordnung." Dies sei keine Stärkung der demokratischen, selbstbewussten Entwicklung des serbischen Volkes. Bahr ist "der festen Überzeugung, dass wir im Zuge der Globalisierung auch globale Regeln haben müssen und alle beteiligten Staaten sich verpflichten, ihre nationale Gesetzgebung dem unterzuordnen. Aber das wird nicht funktionieren, solange die USA sich weigern, amerikanische Staatsbürger vor internationale Gremien stellen zu lassen." Bahr ist ferner für einen NATO-Einsatz in Mazedonien: "Ich gehe davon aus, dass man aus diesem Unterstützungsabkommen (der NATO mit Mazedonien) Konsequenzen ziehen wird. Das erspart viele Komplikationen." Denn: "Der Westen und die anderen Beteiligten sind dazu verdammt, die Region zu stabilisieren. Es gibt keinen Ausweg als den Weg nach vorne, um die Voraussetzung dafür zu schaffen, diese Region nach Europa zu orientieren und europafähig zu machen." (Interview mit Bettina Gaus, "Der Westen hat Fehler gemacht" in Taz vom 6.7.2001)


"Es ist eine seltsam halblaute Debatte, die da über einen möglichen Einsatz deutscher Soldaten in Mazedonien geführt wird und sich nun auch noch mit der Auslieferung von Slobodan Milosevic kreuzt" Dieser Zusammenhang ergibt sich beim Stichwort "Vorratsbeschluss": "Einen solchen fasste die NATO vor einer Woche, um die Entwaffnung der UÇK anzukündigen. Vorher hatte die mazedonische Regierung die UÇK militärisch auszuschalten versucht. Einen "Vorratsbeschluss" fasste die NATO auch 1998, um Milosevic, der schon damals gegen die UÇK vorging, eine bewaffnete Bestrafung anzudrohen, die dann auch vollstreckt wurde. (...) Auch 1998 hat sich die NATO praktisch von der UÇK ins Land rufen lassen. Mehr noch: Auch der heutige Vorratsbeschluss dient dem UÇK-Interesse. Ihm zufolge würde die NATO zwischen die albanische und die mazedonische Bevölkerung treten, wie sie vorher zwischen die albanische und die serbische Bevölkerung getreten ist. Zeichnen sich da schon die Grenzen Großalbaniens ab? (...) Selbst wenn es ein friedlicher NATO-Einsatz werden soll, er ist wieder ohne UN-Mandat geplant. In dieser Hinsicht war die Intervention im Kosovo doch angeblich eine Ausnahme. (...) Die Regierung zögert nur. Das ist alles. Sie trägt ansonsten den Vorratsbeschluss mit. Die geplante Aktion, sagt sie, bedürfe ihrer Teilnahme gar nicht. Und für den Fall, dass sie doch wieder gebraucht wird, versichert sie Bündnistreue. Mit einem Wort, sie hält sich bedeckt - der NATO aber auch der deutschen Öffentlichkeit gegenüber." Milosevic sei zwar "ein Ungeheuer, das sich über die jugoslawische Verfassung hinweggesetzt hat." Aber: "...welche Kriegsverbrechen hat er sich eigentlich zu Schulden kommen lassen? Den Hufeisenplan, den es gar nicht gab? Den Versuch, die UÇK zu entwaffnen? Die Flucht der Kosovo-Albaner vor den Kriegshandlungen? Das alles kann angesichts der Ereignisse in Mazedonien nicht mehr ernsthaft vorgetragen werden. Hat er Massaker angeordnet? Wäre dafür auch nur der Schein eines Beweises vorhanden, die NATO hätte ihn längst präsentiert. Nein, es scheint doch eher, dass sie einen Sündenbock braucht, um von ihrem Völkerrechtsbruch im Kosovo-Konflikt abzulenken. Und je weniger sich die Öffentlichkeit des Zusammenhangs zwischen den Vorwürfen gegen Milosevic und den Ereignissen heute in Mazedonien, zwischen der UÇK damals und jetzt, bewusst wird, desto ungestörter kann sich die NATO auch künftig über das Völkerrecht und die UNO hinwegsetzen." (Michael Jäger, "Milosevic und Mazedonien" in Freitag vom 6.7.2001)


"Wenn Slobodan Milosevic an diesem Dienstag vor seinen Richter tritt, dann mag die Schar der Völkerrechtler und Menschenrechtsadvokaten noch so sehr den Triumph internationaler Konventionen und Rechtsnormen über das Böse bejubeln. In Wahrheit aber hat sich in den vergangenen Tagen ein simples Machtbeben entfaltet, in dem die Schwachen von den Starken sortiert wurden, ein Beben, das seine Ausläufer sowohl in die jugoslawische Föderation als auch in die Völkergemeinschaft hinein sendet. (...) Getrieben wurde die Verhaftung vor allem von machttaktischen Interessen. Begründet wurde sie aber legalistisch. Daraus erwächst nun eine Erwartung über den Umgang mit anderen Potentaten, die nicht erfüllt werden kann. (...) Warum sollte ein serbischer Kosovare nicht Bundeskanzler Gerhard Schröder anklagen können, weil Nato-Kampfflugzeuge mit deutscher Hilfe und ohne UN-Mandat sein Haus bombardiert haben? Henry Kissinger hat in einem Aufsatz in der Zeitschrift Foreign Affairs wortgewaltig auf die Gefahr einer Vermischung von Recht und Politik im internationalen Geschäft aufmerksam gemacht. Kissinger ist der schlechteste aller Advokaten für eine zurückhaltende Völkerrechtspolitik, weil ihn seine Kritiker selbst vor Gericht bringen wollen wegen seiner politischen Rolle während des Vietnam- und des Kambodscha-Krieges." (Stefan Kornelius, "Das Recht des Stärkeren", in: Süddeutsche Zeitung v. 02.07.2001)


Shlomo Avineri, der ehemalige Generaldirektor des israelischen Außenministeriums und Professor für politische Wissenschaften an der Hebräischen Universität in Jerusalem meint: "Die Nacht- und Nebeloperation, die Herrn Milosevic eiligst nach Den Haag verschlug, wirft einige grundlegende Fragen des internationalen Rechts und der Moral auf.". Milosevic sei zwar ein Kriegsverbrecher, und sollte den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen. Auch sei die NATO-Intervention 1999 gegen sein repressives Regime war vollkommen gerechtfertigt. Aber es bestehen "ernsthafte moralische Zweifel an der Jurisdiktion eines internationalen Gerichts." Dies hätte vor allem mit dem Problem der Verantwortlichkeit zu tun. "Ein hebräisches Sprichwort macht Richtern zur Pflicht, ´unter ihrem eigenen Volk ansässig zu sein´. Das ist keine Frage der territorialen Gerichtshoheit sondern der öffentlichen Verantwortung. Wenn des darum geht, ein Urteil zu erlassen, berücksichtigt jedes Gericht, gleich unter welcher Rechtsordnung, die Auswirkungen seines Urteilsspruchs auf die jeweilige Gesellschaft. Einerlei ob man meint, die Straf(maß)praxis habe strafend, rächend, erzieherisch oder abschreckend zu wirken, ist sich jedes Gericht der moralischen und/oder politischen Auswirkungen bewußt, die sein Spruch auf seine Gesellschaft haben wird. Es gehört zu der moralischen Verantwortlichkeit eines jeden Gerichts, diese Überlegungen abzuwägen. Das internationale Tribunal in Den Haag ist von derartigen kontextuellen Überlegungen völlig abgeschnitten und operiert in einer Leere, die mit abstrakten Prinzipien gefüllt ist. Eine schweizer Staatsanwältin und Richter aus aller Welt werden über die Zukunft eines jugoslawischen angeklagten Kriegsverbrechers entscheiden. Weder sie persönlich noch die Gesellschaften, denen sie angehören, werden mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen zu leben haben. Aber die Menschen in Serbien und Jugoslawien werden mit den Konsequenzen nicht nur des Urteils, das noch Jahre ausstehen mag, leben müssen sondern ab sofort auch der Art, wie der Trip von Herrn Milosevic nach Den Haag vonstatten ging. (...) Die Leute in Den Haag - und in London, Paris, Berlin und im UNO-Hauptquartier - , die der Auslieferung applaudierten, werden nicht mit den Konsequenzen zu leben haben. Ist das nicht Macht ohne Verantwortlichkeit? Wäre es nicht besser gewesen, den Gerichtsprozess in Belgrad, so unzureichend er sein mag, seinen Lauf nehmen und das serbische Volk über Herrn Milosevic richten zu lassen? Ferner gibt es da ein Problem der Anwendung von zweierlei Maß. Das Gericht in Den Haag beansprucht Legitimität aufgrund von universellen Prinzipien. Aber universelle Prinzipien, die selektiv angewandt werden und offen für zweierlei politisches Maß sind, sind ein Justizskandal. Offen gesagt: Wenn Milosevic, warum nicht Putin? Was Präsident Putins Regierung in Tschetschenien und Grosniy getan hat, ist sicherlich vergleichbar, wenn nicht schlimmer als das, was das Milosevic-Regime Belgrad in Kosovo getan hat. Jeder weiß, daß die NATO Moskau nicht antun würde, was sie Belgrad angetan hat - genau darum geht es in der Realpolitik. Aber wenn wir uns in den Bereich der internationalen Gerichtsbarkeit begeben, die auf universellen Prinzipien und universeller Rechtsprechung beruht, dann sollte es nicht zweierlei Maß und machtpolitische Überlegungen geben, und vor dem internationalen Recht sollte Herr Putin wie Herr Milosevic gleich sein. Oder wird die internationale Strafgerichtsbarketi nur gegen schwache und kleine Staaten angewandt ? Das Recht ist ein Instrument der Politik, der Moral. Wenn es nicht universell auf alle angewandt wird, sollten wir lieber bei der guten alten Realpolitik bleiben. Wenigstens haben wir dann keine Illusionen, worum es geht." (Shlomo Avineri, "Yes, Milosevic Is Bad, but So Is Selective International Justice", in International Harald Tribune v.03.07.2001)


Professor Hans Köchler, der Präsident der International Progress Organization (IPO) hält die Aushändigung von Milosevic an das sogenannten Kriegsverbrechertribunal in Den Haag nicht für einen "Sieg der Demokratie" oder die "Durchsetzung des Rechts" , da das Tribunal "selbst keine Rechtsgrundlage für seine Tätigkeit hat. Es beruht auf einer Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Dieser ist aber nicht zuständig für rechtliche Angelegenheiten. Er hat damals in einer Sache, für die er keine Kompetenz besitzt, entschieden. Insofern fehlt Den Haag von Anfang an eine Rechtsgrundlage. Deshalb war sowohl die Anklage im Jahr 1999 als auch die Auslieferung am Donnerstag völkerrechtlich nicht gedeckt." Milosevic könne in Den Haag keinen fairen Prozeß erwarten. "Es wird ja schon seit Jahren politisch in einer ganz einseitigen Form Stimmung gemacht. Zudem steht das Haager Tribunal politisch mehr oder weniger unter dem Einfluß der mächtigen Staates des Sicherheitsrates, also der sogenannten westlichen Welt. Selbst wenn das Tribunal kompetent wäre, was es nicht ist, könnten die Richter aus meiner Sicht nicht unabhängig reagieren. (...) Die Auslieferung hätte nach den internen jugoslawischen Reglements nicht stattfinden dürfen. In Belgrad wurde zudem ein Beschluß des dortigen Verfassungsgerichtshofes mißachtet. Man muß schon fragen, wozu es in einem Staat einen Verfassungsgerichtshof gibt, wenn sich die Regierung schlicht und einfach über dessen Entscheidung hinwegsetzt. (...) Aber die Ironie bei dem Ganzen ist ja folgende: Durch einen rechtswidrigen Krieg, also den Aggressionskrieg 1999, den man sich erst nachträglich von der UNO hat sanktionieren lassen, hat man die Infrastruktur eines ganzen Landes zerstört, man hat Akte von Kriegsverbrechen gesetzt, man hat das Land in einen Zustand der Armut hineingebombt, und in diesem Zustand der Abhängigkeit und der Verheerung wird das Land erpreßt, indem man sagt, entweder ihr kooperiert und liefert den ehemaligen Staatschef aus oder es gibt keine Hilfe. Das ist Menschenhandel auf höchster Ebene. Der Präsident wird an den Meistbietenden verkauft. Das ist erniedrigend für das ganze Land und noch nie dagewesen. Und das Ganze ist illegal geschehen, gerade rechtzeitig vor der Geberkonferenz in Brüssel." (Interview von Rüdiger Göbel mit Hans Köchler, "Ist die Milosevic-Auslieferung ein Sieg für das Völkerrecht?" in: junge Welt v. 30.6.2001)


Slobodan Milosevic selbst antwortet seinen Anklägern bei seiner ersten Anhörung: "Ich halte dieses Tribunal für ein falsches Tribunal und die Anklage für eine falsche Anklage. Es ist illegal, weil es nicht von der UNO-Vollversammlung einberufen wurde, und deshalb brauche ich keinen Rechtsbeistand für ein illegales Organ." Und auf die Frage des Vorsitzenden Richters Richard May, ob er wünsche, daß die Anklage verlesen wird oder nicht, antwortet Milosevic: "Das ist Ihr Problem" (Agenturmeldungen vom Dienstag, den 3. Juli 2001)


"Milosevic vor Gericht - Nun zittern die Falschen" titelt Der Tagesspiegel (04.07.2001): "Wie selbstsicher waren sie doch aufgetreten: Chefanklägerin Carla del Ponte, die unumstößliche Beweise gesammelt haben will, und all die westlichen Politiker, die Slobodan Milosevics Auslieferung an Den Haag verlangt hatten. Nicht zu vergessen UN-Generalsekretär Kofi Annan, der ein neues Zeitalter des Völkerrechts heraufdämmern sah: Die Diktatoren könnten sich der Strafe für ihre Verbrechen künftig nicht mehr entziehen. Doch am ersten Tag des Prozesses gegen Milosevic wegen der serbischen Kriegsverbrechen im Kosovo war von dieser Gewissheit, dass am Ende eine juristisch unanfechtbare Verurteilung stehen werde, wenig zu spüren.(...) Nun muss eine lückenlose Beweiskette vorgelegt werden, dass hinter den systematischen Vertreibungen im Kosovo der Wille - und die Anweisung - Milosevics stand. Die Ankündigung, dass die Anklage erst jetzt auf die Verbrechen in Bosnien ausgedehnt werden soll, und das Angebot der USA, zusätzliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen, nähren Zweifel, ob die Klage gut vorbereitet ist."


"Es geht nicht um Pro und Contra zu Slobodan Milosevic, sondern um die Einhaltung oder Verletzung von Rechtsgrundlagen." Das Problem ist: "Keine Regierung unserer parlamentarischen Demokratien könnte eine Auslieferung ihrer eigenen Politiker im Fall der Verdächtigung unter Aufhebung der eigenen Verfassung wollen. Im Gegenteil. Wir beschwören die Goldene Regel und erlegen uns als Pflicht auf, anderen nur das zu tun, was wir erwarten, dass sie es uns gegenüber tun. In diesem Sinn markiert die Auslieferung Slobodan Milosevics an das internationale Tribunal in Den Haag nicht den Sieg der Demokratie, sondern ihr Ende.

Das oberste Gericht Jugoslawiens hatte eine Auslieferungssperre verfügt, um die Verfassungskonformität des Dekrets über die Zusammenarbeit mit Den Haag prüfen zu können. Es wies die zuständigen Regierungsbehörden ausdrücklich an, alle Schritte zu unterlassen, die zu einer Überstellung Milosevics führen. Durch Missachtung der bindenden Entscheidung des Verfassungsgerichts sprengten die serbische Regierung und ihr Premier Zoran Djindjic die Gewaltenteilung und damit die Säule der Rechtsstaatlichkeit. Für Jugoslawien droht eine nicht mehr demokratisch legitimierte, sondern NATO-diktierte Administration. Die Regierung entscheidet, so Djindjic, über die Verfassungskonformität ihres Tuns. Was geschähe, wenn sich dies die Regierung eines anderen Landes anmaßte? Sanktionen wären sicher. Doch hinsichtlich Belgrads galt das Umgekehrte: Solange die Regierung demokratische Spielregeln einhielt, blieben Sanktionen gewiss. Geld fließt erst, wenn die Demokratie sich selbst aufhebt. ("Milosevic in Den Haag: Sieg der Demokratie oder Verwilderung des Rechts? Die Auslieferungsliste des Tribunals bedürfte der Ergänzung" in: Neues Deutschland v. 04.07.2001)


"Als Djindjic Milosevic auslieferte, setzte er sich über alle Regeln des Parlamentarismus und der Rechtsstaatlichkeit hinweg. Für eineinhalb Milliarden Dollar löste er hinter dem Rücken von Serben und Montenegrinern und deren Volksvertretungen Jugoslawien faktisch auf. Er hat in der Gestalt Milosevic´ Serbien an das Tribunal der Kriegsverbrecher ausgeliefert, exakt am 28. Juni (Vidovdan), dem Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld - eine beispiellose Verhöhnung serbischen Geschichtsbewußtseins. Der Vidovdan 2001 ist auch für die bürgerliche Demokratie ein Tag der Katastrophe - was in der zivilisierten Welt der parlamentarischen Demokratie keineswegs so empfunden wird. Denn ihre Selbstauflösung - zugunsten einer uneingeschränkten Kapitalherrschaft - ist der bürgerlichen Demokratie immanent. Ein Tag der Katastrophe ist der Vidovdan 2001 auch für die internationale Linke, was ihr aber mehrheitlich nicht bewußt ist. In ihrer Animosität gegenüber Milosevic verkennt sie, daß am 28. Juni das Recht auf demokratische Selbstbestimmung ausgeliefert worden ist. Slobodu Slobodana! - Freiheit für Slobodan! - steht für den Ruf nach der Freiheit der unterworfenen Nationen." (Werner Pirker, "Slobodu Slobodana! Vidovdan 2001- Katastrophe nicht nur für Serbien" in junge Welt vom 30.06.2001)


"Nach zwei Jahren Untersuchungen im Kosovo durch zahlreiche gerichtsmedizinische Teams aus 17 Ländern hat sich nun offensichtlich herausgestellt, daß - so Stratfor (der private amerikanische Intelligence Service für Privatunternehmen) - ´der Vorwurf der Massentötungen nicht länger aufrecht erhalten werden kann´. (...) Während Slobodan Milosevic wegen angeblicher Kriegsverbrechen vor Gericht gezerrt wird, macht Robert McNamara, der als US-Verteidigungsminister für den Genozid und die chemische Kriegsführung in Vietnam verantwortlich ist, »Vorlesungsreisen an amerikanischen Universitäten und Henry Kissinger berät für dicke Honorare Großkonzerne, wie man Geschäfte mit Diktatoren macht«, moniert auch die renommierte Los Angeles Times. »Die Vereinigten Staaten haben der Welt einen Standard der offiziellen Moral aufgedrückt, dem sie sich jedoch selbst nicht unterwerfen wollen«. (...) »Welche Schrecken auch immer während der Amtszeit Milosevics Zivilisten erlitten haben, sie lassen sich nicht mit denen vergleichen, die McNamara während der acht Jahre zu verantworten hat, in denen er den Vietnam- Krieg führte, in dem Millionen auf Grund seiner Lügen und Befehle, die er gab, getötet wurden.« Milosevic sei angeklagt, mit militärischer Gewalt eine Terrorkampagne gegen die Zivilbevölkerung im Kosovo durchgeführt zu haben, so das Blatt, »aber es war McNamara, der den größten Teil des bäuerlichen Vietnams zu einer Freies-Feuer-Zone gemacht hat«. (In der sogenannten free-fire-zone hatten amerikanische Soldaten Befehl, auf alles zu schießen, was sich bewegte. Dies geschah meist aus Kampfhubschraubern, und Hunderttausende Menschen fielen dieser Politik zum Opfer.) »Zu keinem Zeitpunkt jedoch wurde die Bevölkerung im Kosovo mit Anti-Personen-Minen systematisch niedergemetzelt oder mit Napalm verbrannt, wie es gemäß der von McNamara angeordneten Politik in Vietnam geschah«. Milosevic wegen Kriegsverbrechen vor Gericht zu stellen, während McNamara und Kissinger sich als » Staatsmänner« feiern lassen, besudele den Standard der moralischen Verantwortlichkeit, folgerte die Zeitung aus Kalifornien." (Rainer Rupp "Zweierlei Recht: Milosevic vor Gericht - Verantwortliche für Vietnamkrieg bleiben unbehelligt" in junge Welt vom 30.06.2001)


"Der Nato-Einsatz im Kosovo war sowohl völkerrechts- als auch grundgesetzwidrig", sagt die PDS-Bundestagsabgeordnete Heidi Lippmann der taz in Berlin am Rande einer PDS-Anhörung serbischer Opfer der Nato-Luftangriffe. "Deshalb muss die Bundesregierung sowohl politisch als auch juristisch zur Verantwortung gezogen werden." "Fraktionsvize Wolfgang Gehrke sagte dagegen, die Bundesregierung treffe zwar eine politische und persönliche Verantwortung. Für ein Gerichtsverfahren gebe es aber keine juristische Grundlage. Vor dem Hintergrund des Kosovokrieges klagt die PDS selbst in Karlsruhe: Die neue Nato-Strategie, die Interventionen außerhalb des Bündnisgebietes ermöglicht, hätte der Zustimmung des Bundestages bedurft." (Julia Wesseloh, "Schröder nach Den Haag? Wegen Nato-Luftangriffen: PDS-Abgeordnete will Anklage gegen Kanzler und Minister" in taz vom 30.6.2001)


Kontakt: Klaus Hartmann, Schillstraße 7, D-63067 Offenbach am Main, T/F: 069 - 83 58 50; e-mail: vorstand@freidenker.de


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