Die dritte Anhörung

Slobodan Milosevic gegen »Haager Tribunal«: Ein Kampf gegen die Globalisierung der Barbarei auf dem Gebiet des internationalen Strafrechts (Teil 1)

Von Klaus Hartmann und Klaus von Raussendorff

»Ich habe hier zu kämpfen, um dieses Gericht zunichte zu machen.« Mit diesen Worten gab der »Angeklagte« Slobodan Milosevic bei seiner dritten Anhörung am 29./30. Oktober 2001 dem Haager »Tribunal« erneut zu verstehen, daß es in diesem Verfahren aus seiner Sicht nicht nur um die Verteidigung der Souveränität Jugoslawiens, die Zukunft der jugoslawischen Nation und die Ehre der ehemaligen sozialistischen Führung des Landes geht. Es geht nach dem Verständnis des »Angeklagten« auch um die Delegitimierung eines ad-hoc-»Tribunals«, das von den USA und ihren Verbündeten als Werkzeug ihrer Aggression auf dem Balkan geschaffen wurde. Welche Folgen es hätte, wenn das »Haager Tribunal« mit einer rechtsstaatlichen Einrichtung verwechselt und definitiv Akzeptanz finden würde, hatte Milosevic bereits in seinem Schriftsatz vom 30. August 2001 über die Illegalität des »Tribunals« gesagt: »Kann der Sicherheitsrat ein Strafgericht zur Verfolgung von Handlungen in einem einzigen Land wie Jugoslawien schaffen, so kann er auch ein Gericht für jedes beliebige andere Land bestimmen und sich dabei bestimmte Feinde oder politische und ökonomische Gelegenheiten aussuchen, um jeweils einen von ihnen ins Visier zu nehmen, wobei er sich selbst oder diejenigen, die seinen Wünschen entsprechen, niemals einer solch selektiven Strafverfolgung aussetzt.«

Suspendierung des Rechts

Bei seiner dritten Anhörung nutzte Milosevic scheinbar beiläufig den Umstand, daß Richter May nicht umhin konnte, ihm laut Verfahrensordnung die Gelegenheit zu geben, sich zu seinem »körperlichen und geistigen Zustand« zu äußern. Bekanntlich ist das »Tribunal« auch vor Psychoterror gegen ihn und seine Familie nicht zurückgeschreckt. Dazu Milosevic: »Lassen Sie mich wenigstens nicht in bezug auf die Behandlung diskriminiert sein. Ich verlange daher, daß die Kameras aus meiner Gefängniszelle entfernt werden, und daß Sie aufhören, beim Besuch meiner Familie ihre Bediensteten präsent zu haben. Die Begründung für die Kameras in der Zelle ist unsinnig. Es wird behauptet, daß die Kameras notwendig sind, um mich daran zu hindern, Selbstmord zu begehen. Hiermit erkläre ich gegenüber dem Gericht, daß ich nie Selbstmord begehen würde, zunächst einmal, weil ich meinen Kindern und meiner Familie nicht antun will, sie zu Kindern von jemand zu machen, der Selbstmord beging.«

Und dann folgte die grundsätzliche Kampfansage: »Zweitens würde ich nie Selbstmord begehen, weil ich hier zu kämpfen habe, um dieses Gericht zunichte zu machen, und dies Zerrbild eines Verfahrens und seine Auftraggeber, die dieses Gericht gegen Personen benutzen, die für Freiheit in der Welt kämpfen.« Und mit unüberhörbarer Ironie fuhr er fort: »Also entfernen Sie bitte die Kameras und die Bediensteten, weil die Vorschrift, daß Kameras für die Dauer eines Monats angebracht werden können, mittlerweile vier Monate lang ohne irgendeine Begründung mißbraucht wurde, die Einmonatsregel mißbraucht wurde, weil Sie die Macht dazu haben. Dies verlange ich, nicht um privilegiert zu sein, sondern um wenigsten in dieser Beziehung nicht länger diskriminiert zu werden. Was die Überwachung anderer Begegnungen, Bandaufnahmen von Telefongesprächen etc., die Sie angeordnet haben, betrifft, so ist das Ihr Problem. Machen Sie nur so weiter. Aber eigentlich müssen doch, wenn meine Familie hier ist, Ihre Bediensteten nicht auch noch dabei sein - abhören können Sie doch selbst ohne deren Anwesenheit; ich würde Sie also bitten, mich von dieser Unannehmlichkeit möglichst zu befreien.«

Der »Fall Milosevic«, obgleich von geradezu sensationeller Bedeutung, stößt in der Öffentlichkeit nicht auf gesteigerte Aufmerksamkeit. Das mag auch damit zusammenhängen, daß die spektakulären Terroranschläge vom 11. September und ein neuer Angriffskrieg der »zivilisierten Welt«, zunächst gegen Afghanistan, seit dem 7. Oktober 2001 die Schlagzeilen beherrschen. Aber gerade die zugespitzte internationale Situation verlangt eine gründlichere Analyse des Terrorismus, seiner Hintermänner und Förderer. Eigentlich wäre eine geschärfte Einsicht zu erwarten, daß die NATO-Regierungen erst vor zwei Jahren ihren Angriffskrieg gegen Jugoslawien mit Hilfe und zugunsten von Terroristen geführt haben. Und inzwischen sollte um so mehr auffallen, daß dieselben albanischen Terroristen mit Unterstützung der USA und ihrer Verbündeten weiterhin Mazedonien destabilisieren und die Bevölkerung Südserbiens terrorisieren.

Im übrigen sollten sich gerade jene für den »Fall Milosevic« interessieren, die große Hoffnungen auf einen Internationalen Strafgerichtshof setzen, wie er in Rom 1998 von 120 Staaten vertraglich vereinbart wurde; denn »Den Haag« ist kein Probelauf für die Verwirklichung von »Rom«, sondern eine Veranstaltung zur Pervertierung aller Hoffnungen auf eine wirklich universelle Form internationaler Strafjustiz. Die USA sind nur an »ad-hoc-Tribunalen« interessiert, die ihren Kriegszielen dienen. Den Vertrag von Rom haben sie nicht unterschrieben.

Andere Staaten werden von den USA unter Druck gesetzt, nicht zu ratifizieren. Allen US-Regierungsstellen soll nach einem Gesetzesentwurf des erzreaktionären Senators Helms jegliche Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof verboten werden. »Inzwischen hat sich die Regierung in Washington festgelegt: Sie unterstützt den Helmsschen Gesetzentwurf und ersetzt ihre abwartend kritische durch eine klar ablehnende Position. Das geht aus einem Brief des Außenministeriums an Senator Helms hervor, der in New York zirkuliert.« (FAZ, 1.10.01). Wird dem »Haager Tribunal« nicht die Existenz entzogen - moralisch und faktisch -, dann wird entweder der geplante Internationale Strafgerichtshof ebenso wie das »Haager Tribunal« ein reines Werkzeug der Großmachtinteressen sein, oder er wird nicht sein.

Medienlügen wie im Krieg

Nachdem praktisch alle seinerzeit genannten Gründe für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien als Vorwände, Erfindungen und Lügen überführt sind, sehen manche Medien in der Haager Veranstaltung eine letzte Chance, die in die Köpfe gehämmerten Bilder und Deutungen des Geschehens auf dem Balkan wieder zu festigen und ihre frühere Kriegspropaganda zu bestätigen. Einige Blätter sind denn auch durch ihre Balkankriegsjournalisten vertreten, z.B. die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit Matthias Rüb. Prozeßberichterstattung, die ihren Namen verdienen würde, findet man ansatzweise in einzelnen Beiträgen in Berliner Zeitung, Neue Zürcher Zeitung oder Frankfurter Rundschau, ansonsten Fehlanzeige. So ist für Die Welt Milosevics Ablehnung der drei durch das »Tribunal« ernannten unabhängigen Juristen als Quasi-Verteidiger ein »Weg in die totale Isolation«. Als ob in Den Haag so etwas wie Gerechtigkeit stattfände.

Glücklicherweise präsentiert sich das Prozeßgeschehen vor laufenden Kameras mit einer gewissen Resistenz gegen mediale Fiktionen. Wie reduziert die im Krieg erprobte Suggestivwirkung von Zerrbildern des verhaßten Gegners ist, wird deutlich, wenn eine Katja Ridderbusch in Die Welt schreibt: »So saß er da, wie bislang bei allen Terminen vor Gericht, mit heruntergezogenem Mundwinkel, die kleinen Augen beschwörend über die Zuschauerplätze schweifend, im dunkelblauen Anzug, hellblauen Hemd und einer Krawatte in den jugoslawischen Nationalfarben, Uniform seines autistischen Protestes.« Der Versuch, das »J´accuse« des Slobodan Milosevic, das mit jedem seiner Worte um die ganze Welt schallt, als autistischen Protest abzutun, geht daneben, zumal wenn der Richter sich nicht anders zu helfen weiß, als dem »Angeklagten« auf Fingerzeig der Anklägerin einfach das Mikrofon abzustellen, wenn er Milosevic nicht einmal gestattet, seinen höchst relevanten Schriftsatz öffentlich zu verlesen. Autismus? Auf welcher Seite des »Tribunals«?

Geradezu eine Sternstunde freier journalistischer Interpretation bescherte uns Bild aus dem Verlagshaus Springer, dessen Mitarbeiter per Arbeitsvertrag zur »Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und der Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika« verpflichtet sind. Unter der Überschrift »Versteckte Milosevic den Terrorchef?« fragte Bild: »Hat Terrorfürst Osama bin Laden (44) im vergangenen Jahr bei Jugoslawiens Ex-Diktator Slobodan Milosevic Unterschlupf gesucht?« Und antwortete: »Dies behauptete Milosevic gestern in seiner Anhörung vor dem Haager UN-Kriegsverbrechertribunal.« Im Krieg hatten die Lügen noch eine Verfallszeit von Monaten und Jahren. Beim Milosevic-»Prozeß«, der Fortsetzung des Krieges mit »juristischen« Mitteln, könnte das schneller gehen.

Wer nicht so schwachsinnig ist anzunehmen, daß der »Diktator« den »Terrorfürsten« im Jahre 2000 in Albanien versteckt haben könnte, d.h. in einem fremden Land, in dem es zwar terroristische Spießgesellen dieses »Terrorfürsten« gibt, die aber gerade dabei sind, im Namen der »internationalen Gemeinschaft« den Kosovo, einen Teil des Landes des »Diktators«, ethnisch zu säubern und einem Großalbanien zuzuschlagen, der kann im Internet (www.free-slobo.de) nachlesen, was Milosevic wirklich gesagt hat: »Ich möchte Sie davor warnen«, sagte Milosevic am 30. Oktober 2001 vor dem »Tribunal« an der Stelle, auf die sich Bild bezieht, »daß diese Verfahren einen direkten Einfluß auf die Anstiftung zum Terrorismus im Süden Serbiens haben. Ich möchte Sie warnend darauf aufmerksam machen, daß in diesen Tagen, Wochen und Monaten albanische Terroristen im Süden Serbiens Menschen die Kehle durchschneiden, Feuer legen, vergewaltigen, zusammenschlagen, plündern und im übrigen alles machen, was sie schon in Kosovo und Metohija gemacht haben. Sie wurden darin beflügelt, weil im Unterschied zu der gegenwärtigen US-amerikanischen Administration, die eine antagonistische Haltung zum Terrorismus verkündet hat, die vorherige Administration im Bündnis mit Terrorismus stand. Sie wußten, daß Osama bin Laden zwei Jahre, nachdem er ihre Botschaften zerstört hatte, in Albanien war. Sie kommentierten dieses Faktum sogar, als sie mit mir und meinen Kollegen zusammentrafen. Also stiften Sie bitte nicht zu Terrorismus im Süden Serbiens an, weil die Menschen dort schon genug leiden. Sie sollten auch im Kopf behalten, daß wegen eines derartigen Terrors und unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen 330000 Personen aus Kosovo und Methohija vertrieben wurden. 330000 überwiegend Serben und unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen.«

Drei »Freunde des Gerichts«

»Die drei Anwälte ersetzen keine Verteidiger, die Milosevic weiterhin ablehnt«, berichtet die Frankfurter Rundschau sachlich korrekt. Woher kommt dann aber die völlige Verwirrung über den Status dieser »amici curiae«, zu deutsch »Freunde des Gerichts«, im »Verfahren« gegen Milosevic? Mal sprechen die Medien von »Milosevics Pflichtanwälten« (APA v. 29.10.01). Reuters aus Belgrad nennt den jugoslawischen Anwalt in dem Team einen »Anwalt, der vom UN-Strafgerichtshof ernannt ist, um für Slobodan Milosevic zu agieren«. Dann heißt es wieder, die amici wollten lediglich »dem Gericht übersetzen, was der Angeklagte über die - von ihm bestrittene - Rechtmäßigkeit des Tribunals gemeint hatte« (Der Standard). Milosevics eigener Schriftsatz, der doch wohl für seine eigenständige Verteidigung maßgeblich sein sollte, kommt in den Medien überhaupt nicht vor oder nur so: »Die drei Rechtsexperten haben eine von Milosevic an das UNO-Tribunal verfaßte Motion über die Zuständigkeit des Gerichtes aufgegriffen und dazu kritische Bemerkungen verfaßt.« (Neue Zürcher Zeitung).

Diese Verwirrung geht nicht allein auf das Konto der Journalisten. Sie ist vom »Tribunal« selbst verursacht. Eigentlich ist ein »amicus curiae«, d.h. »Freund des Gerichts«, im angelsächsischen Recht ein »sachverständiger Berater des Gerichts (über Spezialfragen oder fremdes Recht)«. Die Hervorhebungen stehen so im Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache von Alfred Romain, dem die Definition entnommen ist. Anders bei Richter May. Er entschied in der Verhandlung am 30. August 2001, daß ein amicus des »Haager Tribunals« den »Angeklagten« zwar nicht repräsentiert, aber bestimmte Aufgaben, die sonst einem Verteidiger obliegen, unabhängig vom »Angeklagten« übernehmen kann.

Derartiges erstaunt kaum bei einem »Gericht«, das, aus keiner bestimmten Rechtstradition schöpfend, seine Verfahrensregeln selbst bestimmen kann. »Tribunal«-intern scheint man sich nicht ganz einig, was internationales Gewohnheitsrecht hinsichtlich des Rechts eines Anklagten auf Vertretung vor Gericht erfordert. Die Anklägerin bestreitet, daß ein Angeklagter das Recht hat, sich selbst zu verteidigen. Obwohl sie sich mit ihrem Antrag, Milosevic einen Zwangsverteidiger zu verpassen, am 30. August eine Abfuhr holte, kam sie am 29. Oktober erneut mit der Behauptung, es gebe kein Recht des Angeklagten, sich selbst zu verteidigen. Frau Del Ponte ist aus gröberem Holz geschnitzt. Vielleicht spielt sie hier unbewußt in einem Spiel mit verteilten Rollen. Vielleicht merkt sie tatsächlich nicht, daß die Erfinder der Lösung mit den drei »Freunden des Gerichts« ebenso wie sie nur eins im Sinn haben: Die Position des »Angeklagten« möglichst nicht unverfälscht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen.

Am 30. August verhinderte Richter May sozusagen mit Brachialgewalt, daß Milosevic zur Frage der Gerichtshoheit, d.h. der Illegalität des »Tribunals«, vor der Medienöffentlichkeit ausführlich Stellung nehmen konnte. Er erlaubte einfach nicht die Verlesung des umfangreichen Schriftsatzes. Die Verhinderung des Mündlichen, eines Grundrechts des Angeklagten, sollte dadurch mit dem Schein der Ausgewogenheit bemäntelt werden, daß auch Frau Del Ponte nicht gestattet wurde, ihre Anklage in Anwesenheit der Presse zu verlesen. Auch dies ein abgekartetes Spiel; denn das Verlesen der Anklage wurde am 29./30. Oktober ausgiebig nachgeholt. Inzwischen hatten aber die amici curiae in einem Schriftsatz vom 19. Oktober 2001 zu der Frage der Rechtmäßigkeit des »Tribunals« Stellung genommen. Am 30. Oktober durften sie ihre Meinung im Gerichtssaal erläutern. Ergebnis: Kein Wort in den Medien über die substantiellen juristischen und politischen Argumente von Milosevic zur Illegalität des »Tribunals«, statt dessen die Wiedergabe der »Übersetzung« der Meinung des »Angeklagten« durch die amici curiae.

Was zur Rolle der »Freunde des Gerichts« zu sagen ist, hat Milosevic, an Richter May gewandt, mit einer ironischen Formulierung auf den Punkt gebracht: »Was die amici curiae betrifft, habe ich Ihre Erläuterung, als Sie die amici curiae ernannten, dahingehend verstanden, daß ihre Ernennung zu einem fairen Verfahren beitragen soll, wenn es überhaupt in einem derartigen illegalen Verfahren Sinn macht, den Begriff ´faires Verfahren´ auch nur zu erwähnen. Ich denke, daß durch diese Ernennung eine Kollektion neuer Konzepte angereichert wurde. Diese Umstände, unter denen zwei Mannschaften für denselben Zweck arbeiten, könnten nun die Bezeichnung Das Haager Fair Play erhalten.(...) Es freut mich, daß die Herren der Gruppe der amici curiae sich bewußt sind, daß sie nicht in meinem Namen sprechen dürfen, und daß ich mit ihnen nichts zu tun habe.«

junge Welt vom 11.12.2001

Teil 2 klick


Die Erklärung von Slobodan Milosevic, die abzugeben ihm das »Haager Tribunal« bei seiner zweiten Anhörung am 30. August 2001 nicht gestattete:

HTML dt. ¤ HTML engl. ¤ RTF-ZIP dt./engl.


zurück  zurück