Von vornherein Partei

Slobodan Milosevic gegen »Haager Tribunal«: Ein Kampf gegen die Globalisierung der Barbarei auf dem Gebiet des internationalen Strafrechts. Zur dritten Anhörung am 29./30. Oktober 2001 (Teil 2 und Schluß)

Von Klaus Hartmann und Klaus von Raussendorff

klick Teil 1

Alles was Recht ist, Anklägerin Carla Del Ponte ist für dieses Tribunal eine adäquate Besetzung. UCK und NATO kommen in ihrer »Anklage zu Kosovo« einfach nicht vor. Eine solche Grobschlächtigkeit ist kaum zu übertreffen; den meisten Medien ist sie trotzdem nicht aufgefallen.

Der Gegenangriff des »Angeklagten« war prompt und massiv: »Ich verlange, daß Sie die Anklägerin aus naheliegenden Gründen vom Verfahren ausschließen, und ich werde nur zwei nennen. Erstens hörten wir sie gestern laut und deutlich die Anklage zu Kosovo verlesen, die allein von Ereignissen zwischen dem 24. März und dem Ende der ersten Woche im Juni handelt, wobei zweitens alle Welt weiß, daß genau vom 24. März bis einschließlich der ersten Woche im Juni die NATO ihre verbrecherische Aggression gegen Jugoslawien begangen hat. Die Anklage... besagt unausgesprochen, daß nicht die NATO eine Aggression gegen Jugoslawien, sondern vielmehr Jugoslawien eine Aggression gegen sich selbst beging, und daher die Folgen der 78 Tage und 78 Nächte des Bombardements Jugoslawiens, bei dem 22000 Tonnen Bomben abgeworfen wurden, und das eine gewaltige Zahl von Opfern forderte, daß dies nicht Auswirkungen einer NATO-Aggression gewesen sind, sondern eigentlich die Auswirkungen der Aggression, die Jugoslawien gegen sich selbst beging.

Das ist nicht einfach Parteilichkeit. Parteilichkeit ist ein zu mildes Wort. Was wir gehört haben, übertraf selbst das, was wir früher von feindlicher Seite, d.h. vom NATO-Sprecher, zu hören bekamen. Damit ist dies offensichtlich ein Fall einer als total zu bezeichnenden Parteilichkeit. Wenn das Gericht imstande ist, sich blind gegen die Tatsache zu stellen, daß vom 24. März bis zur ersten Juniwoche eine Aggression begangen wurde, daß die Zahl der Opfer gewaltig war, daß 22000 Tonnen Bomben abgeworfen wurden, und daß hier der Versuch gemacht wird, all dies Jugoslawien zur Last zu legen, als ob es diese Verbrechen gegen sich selbst begangen hätte, und der NATO Absolution zu erteilen - und ich denke, daß selbst ein illegales Gericht diese Tatsachen in Betracht ziehen muß - wenn das Gericht diese Tatsachen nicht in Betracht ziehen will, dann ist offenkundig, daß dies nicht ein Gericht ist, sondern nur Teil der Maschinerie zur Ausführung von Verbrechen gegen mein Land und mein Volk.

Sollte Letzteres der Fall sein, sollte das Gericht sogar eine derart flagrante Befangenheit nicht in Betracht ziehen und einen derart entscheidenden Sachverhalt wie die Aggression außer Acht lassen, um nicht die Anklägerin wegen schamlos frecher Behauptung der Unwahrheit und Parteinahme für den Aggressor ausschließen zu müssen, wenn dies der Fall ist und demnach das Gericht Teil der Maschinerie ist, dann, bitte, verlesen Sie das Urteil, das zu fällen Sie angewiesen worden sind, und hören Sie auf, mich mit dem stundenlangen Anhörenmüssen von Texten zu belästigen, die auf dem Niveau eines siebenjährigen Kindes geschrieben sind, genauer gesagt, eines geistig zurückgebliebenen siebenjährigen Kindes. Belästigen Sie mich nicht, verlesen Sie Ihr Urteil. Ich denke, daß all dies bisher eine Farce gewesen ist. Wenn das, was wir gestern hörten, hingenommen wird, daß Jugoslawien eine Aggression gegen sich selbst beging, und daß es da für die Anklagevertretung keine Auswirkungen der NATO-Aggression gegeben hat, dann dürfte alles, was folgt, der reine Zirkus sein. Darum rege ich an, daß Sie die Urteile gleich fällen, und damit all den Verfahrensfragen aus dem Weg gehen, mit denen Sie es zu tun haben.«

Brüchige Legitimation

Um das Problem des »International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY)« zu lösen, »müßte im Grunde ein rückwirkender Legitimierungsbeschluß der UN-Vollversammlung herbeigeführt werden«, was aber nicht im Interesse der USA und anderer Staaten läge, spekulierte die Berliner Zeitung schon am 3. September und nannte als Ausweg die Einholung eines Gutachtens des ebenfalls in Den Haag angesiedelten Internationalen Gerichtshofes (IGH), des wichtigsten UN-Rechtsprechungsorgans. In dieser Frage rieten nun die »amici curiae«, die drei »Freunde des Gerichts«, dem Tribunal, einen solchen Antrag an den IGH zu stellen. Denn: »Ein kritischer Aspekt der Entscheidungen des ICTY zur Gerichtshoheit (jurisdiction), insoweit seine Errichtung angefochten wurde, ist die Tatsache, daß die Richter des Tribunals über ihre eigene Zuständigkeit zu befinden hatten.« Die amici empfehlen daher »eine andere Methode, die Gültigkeit der ICTY-Rechtsprechung zu testen, die kritische Stellungnahmen zur Selbstfeststellung von Rechtsgültigkeit vermeidet.« Das ICTY sei ein »untergeordnetes Organ des Sicherheitsrats«. Daher »könnte argumentiert werden«, daß es »eine inhärente Befugnis besitze, ein Gutachten des IGH einzuholen«. »Rechtliche Hindernisse« stünden dem nicht entgegen. Aber: »Letztendlich könnte der Sicherheitsrat im Namen des ICTY ein Gutachten einholen.« Art. 96 der Charta der Vereinten Nationen besagt, daß nur die Generalversammlung oder der Sicherheitsrat ein Gutachten anfordern können. Andere »Organe« der Vereinten Nationen und »Sonderorganisationen« können dies nur »mit jeweiliger Ermächtigung durch die Generalversammlung«. Soweit der Vorschlag der amici, der gegen Ende der Sitzung vom 30. Oktober von Richter May abgelehnt wurde.

Die Berliner Zeitung meinte dazu, »...daß über die Rechtmäßigkeit der ICTY-Gründung bislang keine unabhängige internationale Rechtsinstanz befunden hat, stärkt die Position der Kritiker«, und fuhr fort: »Das Problem ist, daß ein solcher Schritt nach Ansicht von Experten dazu führen könnte, daß alle beim Jugoslawien-Tribunal laufenden Verfahren bis zur Übergabe des IGH-Gutachtens ausgesetzt werden müssen - möglicherweise nicht nur für Monate. Die Neigung, ein solches Signal zuzulassen, ist vor allem bei den Staaten, die im Jahr 1999 Krieg gegen Jugoslawien führten, denkbar gering.«

Es fällt auf, daß die vom Tribunal bestellten unabhängigen Juristen, die dem »Tribunal« als dessen »Freunde« raten, ein IGH-Gutachten einzuholen, dem »Tribunal«, ungeachtet der Tatsache, daß gerade die Legalität von dessen Gründung umstritten ist und durch den IGH zu prüfen wäre, wie jedem tatsächlich legalen Organ der UN eine »inhärente Befugnis zur Einholung eines IGH-Gutachtens« zuerkennen, wobei sie vergessen, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß diese »inhärente Befugnis« nach dem Wortlaut von Art. 96 (2) UN-Charta nur mit »Genehmigung durch die Generalversammlung« ausgeübt werden kann. Milosevic hatte am 29. Oktober zuallererst zu Richter May gesagt: »Ich stelle keinerlei Verfahrensanträge an dieses Gericht, weil ich dieses Gericht nicht anerkenne. Wenn Sie das, was ich an diesem Mikrofon sage, als einen Antrag werten, ist das Ihre Sache.«

Haben die amici den »Angeklagten« Milosevic nur »interpretiert«, als sie dem »Tribunal« per Antrag empfahlen, den IGH gutachterlich darüber befinden zu lassen, ob das »Tribunal« eine legale UN-Einrichtung ist? Folgten sie einer in »Fachkreisen« (Berliner Zeitung) diskutierten Überlegung, durch ein IGH-Gutachten aus der mißlichen Lage herauszukommen, daß das »Tribunal«, sogar was seine illegale Schaffung betrifft, in eigener Sache judiziert? Was bewog das »Tribunal«, diesen Ausweg abzulehnen? Wie stehen die amici als unabhängige Juristen selbst zur Frage der Illegalität des »Tribunals«? Wäre es nicht ihre Aufgabe als »sachverständige Berater des Gerichts (über Spezialfragen oder fremdes Recht)« als eigene Meinung zu vertreten, was sie nach bestem Wissen und Gewissen für Recht halten? Bei einem ersten Meinungsaustausch über die Rolle der amici sagte einer von ihnen: »We are trying to find our way«, was so viel heißt wie, schaun wir mal, wie wir durchkommen. Wozu Richter Robinson verständnisvoll nickte. Schließlich ist das »Den Haager Fair Play« ein Stück Justizposse, das bisher noch nirgends aufgeführt wurde.

Nach dem Bilde der Konzerne

ICTY, das ist das Kürzel für eine neuartige internationale Strafjustiz mit folgenden Merkmalen: Mandatierung als »ad-hoc-Tribunal« durch den Sicherheitsrat ohne Grundlage in UN-Charta und internationalem Recht; Abkopplung vom Meinungs- und Willensbildungsprozeß der Staatengemeinschaft in der UN-Generalversammlung; Selbstdefinition der Verfahrensregeln; Tätigwerden als zweite Instanz in eigener Rechtsprechung; Abschirmung gegen die gutachterliche Funktion des Internationalen Gerichtshofs. Ein solches Konzept internationaler Strafjustiz ist so ganz nach dem Bilde monopolkapitalistischer Konzernmacht geformt. Auch für die transnationalen Konzerne ist der »Grundsatz der souveränen Gleichheit« der Staaten, auf dem die UNO »beruht« (Art. 2 Zif. 1 UN-Charta), eine gegenüber ihren Interessen untergeordnete Größe, ebenso wie das demokratische Selbstbestimmungsrecht der Völker, die elementare Grundlage von Demokratie und Menschenrechten. Hinzu kommt die von denselben Konzernen kontrollierte Medienmacht, welche in der Lage ist, die klassische Regel der Unschuldsvermutung im Strafverfahren jederzeit nach Belieben durch massive öffentliche Vorverurteilung, sprich Kriegshetze und Völkerhaß, zu ersetzen und transnationale Strafjustiz à la Den Haag umstandslos zum Mittel psychologischer Einmischung und Kriegführung imperialer Mächte zu machen. Auf der Basis der globalen Interessen der transnationalen Großkonzerne und Banken scheint Den Haag zur Geburtsstunde einer spezifischen Form internationaler Klassenjustiz zu werden.

Aber diese Klassenjustiz ist nicht allmächtig. Warum glaubt wohl das Tribunal, Milosevic jeden unmittelbaren Medienkontakt verbieten zu müssen? Warum geht die Anklägerin Carla Del Ponte noch weiter? Fordert sie doch öffentlich, man müsse selbst im Gerichtssaal »Milosevics Recht auf freie Meinungsäußerung« einschränken. Es sei nicht tolerierbar, daß Milosevic vor dem Tribunal »seine Show« veranstalte und politische Reden halte. (dpa, afp) Warum die ganze Regie eines auf Jahre angelegten Prozesses, bei dem offenkundig eine Art Zermürbungstaktik mit der schieren Masse von Kriegs- und Bürgerkriegsvorfällen in »Kosovo«, »Kroatien« und »Bosnien« schließlich dazu führen soll, daß am Ende kaum noch auffällt, wenn die zur Verurteilung notwendige Verbindung zwischen diesen Ereignissen und der Person des »Angeklagten« nichts als ein haarsträubendes Konstrukt des »Tribunals« ist? Das »Tribunal« kann sich dabei durchaus auch aus der juristischen Trickkiste der (west)deutschen Justiz gegen ehemalige Amtsträger der DDR bedienen.

Der Anfang eines langen Kampfes

Milosevics Kampf ist nicht das verzweifelte letzte Aufbäumen eines ehemaligen Führers eines kleinen, von den transnationalen Konzernen und ihren NATO-Regierungen unterworfenen Landes. Sein Kampf ist nicht einfach Verteidigungsstrategie in einem politischen Schauprozeß. Milosevic kämpft gegen eine Institution, die Parteilichkeit und ungleiches Recht zum Prinzip erhoben hat. Ziel seines Kampfes ist nicht einfach, wie sonst in politischen Prozessen üblich, politisch motivierte Rechtswillkür einer im Rahmen der bürgerlichen Rechtsordnung ansonsten »normalen« rechtsprechenden Instanz abzuwehren und zu entlarven. Der »Angeklagte« Milosevic steht in Den Haag gegen ein neuartiges Konzept, das mit dem Grundsatz gleichen Rechts definitiv gebrochen hat.

Das Haager »Tribunal« wurde illegal geschaffen. Es ist von vornherein Partei. Die Natur des »Tribunals« selbst verhindert einen »fairen Prozeß«. Der Kampf gegen das Haager »Tribunal« ist der Kampf gegen einen Modellversuch der Anpassung des internationalen Strafrechts an die neue Weltkriegsordnung der USA, Deutschlands und ihrer Verbündeten. Es ist der Kampf gegen den Rechtszynismus der konzerngesteuerten Medienöffentlichkeit, unter deren Einfluß auch die Linke steht. Dem »Angeklagten« in Den Haag gebührt die Anerkennung und Solidarität der friedliebenden und rechtsbewußten Menschen aller Länder.

Als Georgi Dimitroff von den Nazis der Brandstiftung am Reichstag bezichtigt wurde, aber aufgrund seiner bestechenden Beweisführung freigesprochen werden mußte, gab es seitens der internationalen Arbeiterbewegung eine Öffentlichkeit, die sich dem Rechtsnihilismus des Imperialismus widersetzte. Das ist heute leider nicht mehr so. Aber auch Milosevic steht nicht allein. Am 20./21 Oktober 2001 trat das Internationale Komitee für die Verteidigung von Slobodan Milosevic in Belgrad zu einer Tagung zusammen. Aus sechs Ländern waren nationale Sektionen des Komitees vertreten. Ein Aktionsprogramm wurde beschlossen. Gleichzeitig beriet in Hannover die Deutschen Sektion des Komitees mit etwa 30 Leuten aus Friedensgruppen in elf deutschen Städten über die weiteren Aufgaben im Kampf gegen das »Tribunal«.

Milosevics »Unterstützerkomitee hat weder Mittel noch Einfluß, sich in den Medien Gehör zu verschaffen und hat sich inzwischen darauf verlegt, die US-Intervention in Afghanistan zu attackieren«, meint Klaus Bachmann in der Frankfurter Rundschau (30.10.01). Aber wenn das Häuflein der Milosevic-Unterstützer auch noch relativ klein ist, die weltweiten Bewegungen gegen Militarismus und Krieg und gegen die kapitalistische Globalisierung werden stärker. Diese Protestbewegungen haben den Kampf von Milosevic bisher noch nicht als den ihren erkannt. Sie sehen noch nicht, daß Milosevic als »Angeklagter« gegen eine internationale »Strafjustiz« angetreten ist, die im Interesse gerade der von ihnen kritisierten kapitalistischen Globalisierung und der neuen Weltkriegsordnung praktiziert wird.

Aber die ersten drei Auftritte von Slobodan Milosevic vor dem »Tribunal« haben weltweites Aufsehen erregt. Seine Kritiker konnten zur eigenen Überraschung einen souverän auftretenden und brillant argumentierenden Verteidiger der Freiheit und Souveränität der Völker erleben. Wenn nur einige Regierungen, z.B. Chinas und Rußlands, mutig und unabhängig genug wären, könnte sich Widerstand gegen Den Haag auch in den Vereinten Nationen regen. »Wir, die Völker der Vereinten Nationen, fest entschlossen ...« lauten die ersten Worte der UN-Charta, die uns auffordern, als einfache Staatsbürger zu handeln, wo Regierungen moralisch und juristisch abgewirtschaftet haben.

Auf das Haager Tribunal bezogen bedeutet dies, daß die Gegner der Kriegspolitik der USA und ihrer Verbündeten, die Kritiker der kapitalistischen Globalisierung und im übrigen alle rechtlich denkenden Menschen dem »Haager Tribunal« die Legitimität erst einmal im eigenen Namen, im Namen der »Völker der Vereinten Nationen« entziehen müssen, damit eine Mehrheit der Regierungen für seine gänzliche Abschaffung in den Vereinten Nationen zustande kommt. Wir stehen erst am Anfang eines langen Kampfes, der im Grunde genommen um die Befreiung der Organisation der Vereinten Nationen aus den Fesseln imperialer Interessen und auf nationaler Ebene um die Rückeroberung von Demokratie und Recht geführt werden muß.

junge Welt vom 12.12.2001


Die Autoren sind im Internationalen Komitee für die Verteidigung von Slobodan Milosevic aktiv


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